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Die weiße Hexe

Titel: Die weiße Hexe
Autoren: Ilona Maria Hilliges
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begonnen hatte, war ich jünger als meine älteste Tochter Janet jetzt.

EINE ALTE LIEBE
    „Solange du Läuse in der Kleidung hast, wird unter deinen
    Fingernägeln Blut sein. (Nigerianisches Sprichwort) JOHN, DER MANN AUS MEINER VERGANGENHEIT
    In München fanden die Olympischen Spiele statt. Die Stadt war voller Fremder, die ganze Welt sah auf sie. Und ich war mittendrin, 19 Jahre jung! Ich hatte einen Job „bei Olympia“ ergattert, teilte Reinigungskräfte ein. Es war Sommer, eine Atmosphäre, als wäre jeden Tag Föhn, und die Luft war wie Champagner.
    John Wowo war so schwarz, daß ich in der Dunkelheit der Nacht nur seine Augen und sein fantastisch weißes Gebiß leuchten sah.
    Er war nicht viel größer als ich, hatte krause Haare mit viel zu langen Koteletten, ein unwiderstehliches Lachen in den Augen und einen weichen, sinnlichen Mund. Erwählte seine Kleidung so, daß er auffiel - ein zu langer Mantel, zu weite Hosenbeine und bunte Hemden. Das Essen, das er für mich kochte, war ungewohnt scharf oder von verführerischer Süße. Er rief mich an, schrieb mir seitenlange Briefe, erzählte märchenhaft anmutende Geschichten aus seiner Heimat. Er holte mich zu unerwarteten Zeitpunkten ab, brachte mir kleine Holzfiguren, bunten Perlenschmuck, ungewöhnliche Talismane und Amulette mit, die mich faszinierten und meine Neugier weckten. John warb um mich mit einer altmodischen Aufmerksamkeit voll romantischer Zartheit, der ich mich bereitwillig auslieferte.
    Meine Freunde, ganz zu schweigen von meinen Eltern, die schon bei der Erwähnung von Johns Hautfarbe abblockten, warnten mich.
    Vielleicht war es der Reiz des Fremden, die uralte Versuchung, von verbotenen Früchten zu naschen, die Herausforderung, unsichtbare Grenzen zu überschreiten. Auf jeden Fall verletzte ich bereitwillig jene Tabus, die ich ohnehin nie akzeptiert hatte.
    Johns Begehren machte mich süchtig, und ich begann ihn zu lieben,
    seine schwarze, haarlose Haut, seine vollen Lippen. Seine sinnliche Körperlichkeit half mir aus meinen Hemmungen heraus wie aus einem zu engen Korsett. Sein Stolz auf mich, den er auf unzähligen Partys zeigte, gab mir Selbstbewußtsein. Seine Fantasie, die unbekümmerte Fröhlichkeit, mit der er das Leben auf sich zukommen ließ, ohne vorauszuplanen, verlieh mir Flügel. Seine Liebe und warmherzige Fürsorglichkeit umhüllten mich wie ein Handschuh die frierenden Finger.
    Johns sinnliches Reich aus Liebe und Sex, Düften und Essen hätte ewig dauern können; aber er hatte kein Geld. „Macht nichts“, sagte ich lässig, „ich verdien' ja schon neben dem Studium.“ Und war nun meinerseits stolz, ihm mit meinem Geld helfen zu können. Das Leben mit John veränderte mich schnell. Auch äußerlich: Meine rotblonden langen Haare kräuselten sich schon bald im Afro-Look, womit ich John zeigte, daß ich zu ihm gehörte.
    Aber mein Vater, der auf einen braven deutschen Geschäftsmann -
    wie er selber einer war - als Gatten seiner ältesten Tochter gehofft hatte, sah seine Felle davonschwimmen. Unverhüllt zeigte er seine Ressentiments. Weil ich Konfrontationen immer aus dem Weg ging, schwieg ich. Da kamen mir Johns Ideen, die so farbenprächtig waren wie seine Fantasie, gerade recht. Er träumte von jener Gegend der Welt, die uns beiden weit, ungezwungen und grenzenlos erschien. In Kanada wollte er sich zum Piloten ausbilden lassen.
    Mit Johns Liebe und Kraft fühlte ich mich unendlich stark und mutig, und ich glaubte, nie einen Fehler machen zu können. Meinem dominanten, überfürsorglichen Vater erzählte ich, daß ich in Amerika ein internationales Studium beginnen wolle. Er brachte mich sogar zum Flughafen. Und dann strömten am Abflugschalter fünf, sechs schwarze Männer auf mich zu, mittendrin John, voller Vorfreude auf Kanada. Mein Gebäude aus Lügen knickte in sich zusammen. Ich flog Hals über Kopf ab, statt meinem Vater klarzumachen, daß ich von nun an mein eigenes, von mir selbst zu verantwortendes Leben führte. Ich nahm einen Berg Schuldgefühle mit, mit denen ich die nächsten Jahrzehnte lebte und die Papa trefflich auszunutzen wußte.
    Unsere abenteuerliche Reise nach Kanada tat unserer Beziehung gut. Ich bewunderte John wegen seiner Ausgeglichenheit, die nie ein böses Wort über seine Lippen kommen und ihn nie ein hartes Urteil über andere Menschen fällen ließ, ganz egal, wie sehr er selbst beleidigt worden war. Da ich immer eine Einzelgängerin gewesen war, genoß ich seine unkomplizierte Art,
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