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Die weiße Hexe

Titel: Die weiße Hexe
Autoren: Ilona Maria Hilliges
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mahnte ich vergebens.
    Als John zum verabredeten Zeitpunkt brav anrief, informierte ich ihn, daß wir kämen und wann er uns abholen solle. Da meinte John:
    „Oh, gut, daß ihr kommt. Bringt ein paar Kleinigkeiten mit, um Freunde zu machen.“ Kleinigkeiten? Ein schwerer Ballen goldenen Brokatstoffes sowie zwei riesige Stoffballen mit österreichischer Stickerei. Mein Vater fuhr extra 300 Kilometer nach Dornbirn in Osterreich. Er wollte sich ja nicht lumpen lassen. Das Motiv der Stickerei: Mercedes-Sterne, laut John der letzte Schrei auf dem nigerianischen Modemarkt. Am nächsten Tag brachte Quelle noch ein gigantisches Paket voll güldenem Krimskrams: Aschenbecher, Vasen, Tellerchen, Kerzenleuchter. Ein Flohmarkt für den Afrika-Export.
    Diesmal nahm ich den Kredit auf: 15 000 Mark, 10 000 für die Autos, 5 000 kosteten die Lufthansa-Flüge. Wir mußten Business class nehmen, denn auf Plätze in der günstigeren Touristenklasse hätten wir wochenlang gewartet. Mein Vater war auch nicht der Typ, der mit einem Billigticket reist. Er war ein Mann von einem Meter achtzig und wog damals 125 Kilo. Ein Mann mit Einlegesohlen in den Gesundheitsschuhen, wollenem Trachtenanzug und Filzhut mit Gamsbart. Er wollte eben was hermachen. Um einen Kredit bei einer oberbayerischen Bank zu ergattern, war das vielleicht der richtige Aufzug. Doch so stieg er auch ins Flugzeug nach Afrika.

REISE INS UNGEWISSE
    Die Lufthansa-Maschine wurde weit draußen in Lagos auf dem Rollfeld des Murtala Mohammed Airport abgestellt. Bis zu diesem Zeitpunkt war es mir egal gewesen, ob ich in Island oder Sibirien Vaters undurchdachte Geschäfte hätte retten sollen. Ich bin nicht nach Afrika geflogen, um Abenteuer zu erleben oder mir den Duft der großen weiten Welt um die Nase wehen zu lassen. Ich war eine Frau von 27 Jahren, auf die zu Hause zwei kleine Kinder und ein Berg von Schulden warteten. Trotzdem vollzog sich schon in diesen ersten Minuten, während wir an der geöffneten Türe warteten und schwitzten, eine unerklärliche Veränderung in mir. Die süßlich aromatische Luft, der der Geruch von Kerosin beigemengt war, strömte in die Kabine. Ein geradezu stimulierend aufregender Duft, der meinen Puls beschleunigte. Es war dieser unbekannte Geruch, der mir die Dimension meiner Reise ins Ungewisse klarmachte. Ich war in Afrika!
    Papa steckte meine Erregung keineswegs an. Da er Mantel und Hut trug, dauerte es keine zwei Minuten, bis er schweißgebadet war. Ich glaube, Papas grauer Filzhut machte mir bewußt, daß in Afrika alles unvorstellbar anders war: Vor der Paßkontrolle wollte er ihn wieder aufsetzen, doch durch die feuchtwarme Hitze war das graue Filzding um zwei Nummern eingelaufen. Papa wirkte wie der Aushilfsclown eines Zirkus. Trotzig behielt er sein geschrumpftes bayerisches Stammessymbol auf dem schweißnassen Kopf.
    Wir befanden uns in einer Schlange von Menschen, die sich langsam auf den Einreisebeamten zubewegte. Ich die überflüssige Garderobe über dem Arm, in jeder Hand eine große Tasche. Mein Vater mit Anzug, Mantel, Hut, links den Koffer mit dem güldenen Nippeszeug, obenauf ein paar Hemden und Krawatten, und rechts den schönen Aktenkoffer, auf den er so stolz war, weil er sich beim Öffnen so toll auseinanderfächerte.
    Ich hielt meinen Paß und meinen Impfpaß parat. „Papa, hast du deine Pässe?“ Statt einer Antwort griff er - mit der Geste großer Männer - in die linke Brusttasche des Anzugs. Voila, der Paß. Er runzelte die Stirn, hielt den Paß mit den Zähnen fest, fühlte - schon wesentlich unsicherer - noch mal nach. Fehlanzeige. Kein Impfpaß.
    Ich sagte nichts. Ich wußte, daß man uns ohne Impfpaß nicht ins Land lassen würde.
    Problemlos passierten wir den Einreisebeamten, schoben uns zum Gesundheitsbeamten weiter. Vater tastete in den anderen Sakko-und Manteltaschen. Dann blieb er stehen, mitten in der von hinten nachdrängenden Menschenmenge. „Ist bestimmt im Aktenkoffer“, sagte er, drehte an den Zahlencodes des Koffers, ließ die Verschlüsse schnappen. Irgend jemand stieß prompt von hinten gegen ihn, und der Koffer klappte auf, die fein säuberlich geordneten Dokumente purzelten wild durcheinander auf den Boden. Zwanzig Hände griffen hilfreich danach. Vaters Hut kullerte davon, der Schweiß tropfte. Wir rafften das ganze Papierzeugs schnell zusammen, bevor es jemand mit der Hilfe übertreiben konnte. Durch diese Radikalinventur des Kofferinhalts wurde klar: Der gesuchte Impfpaß hatte die
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