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Die weiße Hexe

Titel: Die weiße Hexe
Autoren: Ilona Maria Hilliges
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zu einem Nicken bewegen konnte. Papa blieb durstig. Ich fühlte mich zunehmend unbehaglicher in meiner unfreiwilligen Rolle als Vermittlerin zwischen Afrika und Europa. Wo ich doch selbst kaum durchblickte! Geprüft durch die Ehe mit John, konnte man mich zwar nicht mit teuflisch scharfer Nigeria-Sauce schocken, aber auch ich wartete vorsichtshalber, bis nach dem Essen Bier und 7 up-Limonade gereicht wurde.
    Der Chief schien den desolaten Zustand meines Vaters nicht zu bemerken. Unverdrossen versuchte er, Konversation zu machen. Es ging natürlich um Autos. Denn John hatte mächtig angegeben, behauptet, mein Vater habe fantastische Verbindungen zu den deutschen Autokonzernen, vor allem zu Mercedes. Schließlich war Vater ja als Autohändler hier, gewissermaßen jedenfalls. Und John brauchte einen guten Grund, um seinem Vetter zwei Deutsche als Gäste ins Haus zu schicken. Ob Vater mit Chief Bole nicht in den Autohandel einsteigen wolle? Vater machte große Augen: Was denn, noch mehr Autos?! Wo er die zehn noch nicht mal verkauft hatte!
    Stinksauer und hungrig ging Vater ins Bett. Ich hörte ihn in der Kammer, die man ihm zugeteilt hatte, rumoren. Nach einer Stunde stand er rotgesichtig und schnaufend vor mir: „Ilona, es ist zu heiß.
    Ich glaube, ich ersticke.“
    Chief Bole schleppte mit mir eine Matratze auf die Terrasse, drapierte ein Moskitonetz drüber. Für John und mich stand nur ein gemeinsamer Raum zur Verfügung. Mit einem gemeinsamen Bett.
    Alles andere hätte seine Position Vetter Bole gegenüber erheblich geschwächt ... Glücklicherweise ersparte John mir in der ersten Nacht die unangenehme Diskussion darüber, daß der Verkauf von Autos nicht automatisch eine brachliegende Ehe zu neuer erotischer Leidenschaft beflügelt. Aber mir war klar, daß John meine Trennungsabsichten ignorieren würde.
    Am nächsten Morgen sah Vater aus wie roter Streuselkuchen. Die Matratze war zu schmal, das Netz hatte an ihm geklebt, die Moskitos am Netz. So waren sie trotz der gutgemeinten Vorsichtsmaßnahme doch an sein leckeres Blut gekommen. „Ilona, ich will in ein Hotel!
    Noch mal überlebe ich so eine Nacht nicht.“
    Vaters Auszug aus Boles Haus verdüsterte dessen Stimmung erheblich. Wie sollte er mit dem wichtigen deutschen Mann Geschäfte auf die Reihe bringen, wenn der nicht seine Gastfreundschaft in Anspruch nahm?
    Zwei Stunden lang kurvten wir - Chief Bole lieh uns einen Peugeot, natürlich mit Feuerlöscher - durch den Stadtteil Ikeja, bis wir endlich ein Hotel fanden. Für 500 Mark bekam man Anfang der achtziger Jahre in Berlin im Kempinski oder in München im Vier Jahreszeiten ein ganz anständiges Zimmer. Für diese Summe ergatterte mein Vater in Lagos-Ikeja ein Zimmerchen, immerhin mit Klimaanlage. Wir hatten vor, 14 Tage zu bleiben. Am Ende hielt Vater es zehn Tage in Nigeria aus. Das machte 5 000 Mark, plus zwei Mahlzeiten - europäisch, natürlich - für 200 Mark am Tag. So schnell waren weitere 7 000 Mark weg.
    Zwei Tage nach seiner heißen Flughafenfahrt war der hellblaue Käfer bereits wieder einsatzbereit. Ich fragte mich inzwischen, warum wir ausgerechnet Autos in eine Stadt einführen mußten, in der es ohnehin bereits Millionen Autos gab. Wer es sich leisten konnte, hatte nämlich zwei: eines mit einer geraden Anfangszahl auf dem Nummernschild, eines mit einer ungeraden. Die Regierung hatte gehofft, die verstopften Straßen der Millionenmetropole Lagos zu entlasten, wenn an bestimmten Tagen nur Autos mit gerader Zahl und an anderen nur solche mit ungerader Zahl auf dem Nummernschild fahren durften.
    Die Luft ist giftigblau mit Autoabgasen verpestet. In dieser Luft verbrachte ich viel Zeit: eine Stunde Fahrt, um Vater vom Hotel abzuholen, dann zwei Stunden zum Hafen und zwei zurück, wieder zum Hotel und anschließend zum Haus vom Chief. Heute mit dem Käfer, morgen mit einem Peugeot. Je nach Nummernschild Der Beifahrersitz war wieder eingebaut. Vater saß vorn und malträtierte die Fensterkurbel des Käfers. Entweder war es ihm draußen zu abgasmiefig oder drinnen zu stickig. Ich saß auf dem Rücksitz und schwitzte vor mich hin. Die zeitraubende Make-up-Prozedur am Morgen hatte ich mir bald abgewöhnt. Das Zeug zersetzte sich schon in seinen Behältnissen in eine Mischung aus öliger Flüssigkeit und Klumpen.
    Das Zollgebäude am Hafen: Ein Ventilator rührte die Deckenluft um, ein ockergelb lackierter Tresen, dahinter eine turbangeschmückte Schwarze, die ihre Nägel lackierte. Ob wir den
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