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Die weiße Hexe

Titel: Die weiße Hexe
Autoren: Ilona Maria Hilliges
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überall schnell Freunde und „Verwandte“ zu finden. Und ich lernte auch die stille, gläubige Seite an ihm kennen, das Gebet vor jeder Mahlzeit, das Ausdruck tiefer Spiritualität war.
    Unsere Hoffnung erfüllte sich nicht: Das Leben in Kanada war nicht leichter als das in Deutschland, vor dem wir davongelaufen waren.
    Zwar fand ich problemlos Arbeit, doch John erhielt nicht einmal eine Aufenthaltsgenehmigung, die Voraussetzung für die Verwirklichung seiner hochfliegenden Pläne. Aber was uns hätte trennen sollen, schmiedete uns noch stärker zusammen: Im März 1974 heirateten wir in Toronto, und ich wurde Ilona Wowo. In Briefen, die ich nach Hause schrieb, gab ich nur meinen Vornamen als Absender und eine Postfachadresse an. Meine Mutter roch den Braten bald und fragte, ob ich geheiratet hätte. Nach meinem Antwortbrief wollte mein Vater nichts mehr mit mir zu tun haben; Mutter mußte von nun an heimlich schreiben.
    Den ersten Schatten auf unser Glück warf ein Brief aus Nigeria.
    John hatte dort eine Ehefrau, die er kurz vor seiner Abreise nach Deutschland nach Stammesrecht geheiratet hatte. Aus seiner Sicht war Polygamie nichts Verwerfliches, sondern gehörte zur Tradition.
    Doch ich war wütend. John schrieb einen Brief nach Hause, in dem er das Mädchen verstieß und seine Eltern aufforderte, die letzte Rate des Brautpreises nicht zu zahlen, da er in Europa die Frau seines Leben gefunden habe. Ich war versöhnt und glaubte wieder an ihn. Trotz der Heirat bot Kanada uns keine Zukunft. Wir entschlossen uns, nach England zu gehen, um zu studieren und zu arbeiten. In kürzester Zeit gelang es mir, in London einen Job zu finden und Geld für uns beide zu verdienen. Wir wohnten in dem heruntergekommenen Londoner Stadtteil Brixton, weil wir uns mehr nicht leisten konnten. Das armselige Zimmer, das ein Vorhang in Wohn- und
    Schlafbereich teilte, besaß weder Klo noch Bad. Der Nachbar von oben löste das Problem auf seine Art: Er pinkelte aus dem Fenster.

    Ich wurde vom anstrengenden Alltag so in Beschlag genommen, daß ich nicht bemerkte, was mit John vor sich ging. Was es für ihn bedeuten mußte, die Weite Afrikas zu kennen, von der Freiheit Kanadas zu träumen - und in einem solchen Loch zu landen, ohne die Aussicht, das Schicksal in die eigenen Hände nehmen zu können. Denn wieder bekam John keine Arbeitsgenehmigung.
    Wenigstens ein Studium durfte er beginnen, das wir allerdings selbst zu finanzieren hatten. Es machte mir nichts aus, daß es mein schwer verdientes Geld war, solange John seinem Ziel ein Stück näher kam.
    Aber John fehlte der Antrieb. Erst gegen Mittag fand er aus dem Bett, beantwortete Fragen nach dem Studium ausweichend. Wenn ich müde von der Arbeit nach Hause kam, war in unserer kleinen Wohnung Party angesagt. Mein ausgeruhter, kontaktfreudiger Mann hatte andere Afrikaner eingeladen, die alle nicht arbeiten mußten oder durften. Unser Leben geriet aus den Fugen.
    Ausgerechnet da kam John mit einer neuen Idee - ein Kind! Für Afrikaner hat Nachwuchs einen anderen Stellenwert als für Europäer. Das reicht vom Gedanken der finanziellen Alterssicherung bis hin zu einer spirituellen Bedeutung: Kinder sichern die Wiedergeburt. Das wußte ich mit Anfang Zwanzig nicht.
    Ich dachte weiblich-pragmatisch: Als Vater wird John sicher verantwortungsbewußter!
    Anfang Juli 1975 kam unsere Tochter Janet zur Welt, doch nichts änderte sich. Im Gegenteil. John dachte gar nicht daran, Janet zu betreuen. Das alte Klischee: Kindererziehung ist Frauensache. Aber ich arbeitete - der Sozialhilfesatz hätte nur zum Verhungern gereicht. Johns Vorschlag: Bring das Kind zu deiner Mutter.
    Unvorstellbar! Mit Mama wechselte ich immer noch heimlich Briefe, zwischen Papa und mir herrschte der Krieg des Schweigens. Ich hätte zu Kreuze kriechen, mein Versagen eingestehen müssen.
    Doch so weit war ich nicht - noch nicht. Janet kam zur Tagesmutter, in deren winziger Wohnung ein Dutzend anderer Kinder herumkrabbelte.
    Da Janet ständig krank war, mußte ich sie oft zu Hause lassen. Als ich am Abend eines solchen Tages heimkehrte, glaubte ich, die falsche Wohnung erwischt zu haben. Da stand eine Frau in unserem Zimmer an der Kochplatte, trug meinen Wrapper, rührte träge in einem Topf, und meine einjährige Tochter, hochfiebrig, krabbelte zu ihren Füßen herum. Mein Mann tanzte mit seinen Freunden zu lauter, reggaeartiger High-Life-Musik durchs Nebenzimmer. Ich bin nicht der Typ, der Szenen macht. Statt dessen schleppte
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