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Die Wasserratte von Wanchai / eBook (German Edition)

Die Wasserratte von Wanchai / eBook (German Edition)

Titel: Die Wasserratte von Wanchai / eBook (German Edition)
Autoren: Ian Hamilton
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denn schiefgelaufen?«
    Alice zögerte. »Vielleicht sollten Sie die Unterlagen lieber selbst lesen. Wenn Sie weitere Informationen oder Erklärungen brauchen, rufen Sie meinen Bruder an. Seine Handy- und Privatnummer stehen in den Unterlagen. Er möchte allerdings nicht, dass Sie ihm E-Mails schicken oder ihn in der Firma anrufen. Sonst ist er jederzeit erreichbar, Tag und Nacht, hat er gesagt. Er schläft sowieso nicht mehr viel.«
    »In Ordnung, ich schaue mir die Unterlagen an.«
    »Die Sache hat ihn sehr mitgenommen«, sagte Alice langsam. »Er ist stolz darauf, sich immer integer zu verhalten, immer auf Nummer sicher zu gehen. Er begreift einfach nicht, wie ihm so etwas passieren konnte.«
    »Unverhofft kommt oft«, sagte Ava.
    Alice berührte das Kreuz an ihrer Halskette, und ihr Blick wanderte zu der schlichteren Ausführung, die Ava trug. »Sind Sie katholisch?«, fragte Alice.
    »Ja.«
    »Ich auch.«
    »Wohnen Sie hier in Toronto?«
    »Ja, als Einzige der Familie. Der Rest ist in Hongkong.«
    »Was machen Sie beruflich?«
    »Mein Mann und ich sind in der Bekleidungsbranche. Er ist ebenfalls Chinese – vom Festland. Wir haben dort sowie in Malaysia und Indonesien Produktionsanlagen.«
    »Ein hartes Geschäft. Mein Vater war eine Zeitlang daran beteiligt«, sagte Ava.
    »Wir hatten Glück. Mein Mann hat vor Jahren entschieden, dass wir nur überleben können, wenn wir uns ausschließlich auf den Handelsmarken-Bereich konzentrieren, und genau das tun wir jetzt.«
    »Arbeiten Sie in der Firma mit?«
    Die Frau schaute Ava an, und plötzlich lag Neugier in ihrem Blick. Ava fragte sich, ob sie einen wunden Punkt getroffen hatte, und sagte schnell: »Ich wollte nicht aufdringlich sein.«
    » Momentai «, sagte Alice. »Ich kümmere mich um unsere zwei Söhne und ums Haus. Mein Mann hält mich auf dem Laufenden, und ich muss immer noch um die Ehefrauen der Käufer herumscharwenzeln, aber nein, ich arbeite nicht mehr.«
    Ava griff nach der Dim-Sum-Liste, doch Alice kam ihr zuvor. »Ich lade Sie ein«, sagte sie.
    »Danke.«
    Als Ava sich umdrehte und ihre Adidas-Jacke von der Stuhllehne nahm, spürte sie wieder, wie Alices Blick auf ihr ruhte. »Habe ich was Falsches gesagt?«, fragte sie.
    »Nein, nein. Sie kommen mir nur so bekannt vor. Wo haben Sie Ihre Ausbildung gemacht?«
    »Hier, in der York University, danach im Babson College in der Nähe von Boston.«
    »Nein, davor. Welche High School?«
    »Ich war auf dem Havergal College.«
    »Ich auch«, sagte Alice.
    »Ich erinnere mich gar nicht an Sie.«
    »Haben Sie eine ältere Schwester namens Marian?«
    »Ja.«
    »Sie war in meiner Klasse. Wir gehörten zur ersten großen Welle chinesischer Schüler und haben ständig zusammengegluckt. Waren Sie zwei oder drei Jahre unter uns?«
    »Zwei.«
    »Ich weiß noch, dass ich Sie zusammen mit Marian gesehen habe.«
    Ava versuchte, sich zu erinnern, aber Marians Freundeskreis hatte im zweistelligen Bereich gelegen. »Sie ist jetzt verheiratet und hat zwei Töchter. Ihr Ehemann ist der aufgehende Stern am Himmel des kanadischen Staatsdienstes.«
    »Ist er Chinese?«
    »Nein, Kanadier.«
    »Typisch Havergal-Mädchen: Die wissen, wie man eine gute Partie macht«, sagte Alice und beäugte Avas Ringfinger. »Sie sind nicht verheiratet?«
    »Nein«, sagte Ava.
    »Eine Karrierefrau.«
    Alice hielt die Dim-Sum-Liste hoch, damit die Bedienung sie zur Kasse bringen konnte. Danach faltete sie sittsam die Hände, wie es sich für eine ehemalige Havergal-Schülerin gehörte, und sah Ava erneut aufmerksam an. »Wie sind Sie zu diesem etwas ungewöhnlichen Beruf gekommen? Mein Bruder hat mir erzählt, worauf Ihre Firma spezialisiert ist. Als ich vernahm, ich würde eine Frau treffen, habe ich Sie mir völlig anders vorgestellt. Tatsächlich hatte ich angenommen, Sie wären eher eine Art Vermittlerin als aktiv am Geschäft beteiligt. Sie sind doch aktiv beteiligt, oder?«
    »Ja.«
    »Das dachte ich mir … das soll nicht herablassend klingen. Mein Mann war auch schon gezwungen, Unternehmen wie Ihres anzuheuern, daher weiß ich, was für Menschen dort arbeiten und wie es dabei zugeht. Ich hatte nicht erwartet, dass Sie so jung sind.«
    »Und obendrein eine Frau.«
    »Ja, das auch. Wie sind Sie da hineingerutscht?«
    Ava war überrascht; sonst stellte immer sie die Fragen. Sie zögerte. »Es ist eine langweilige Geschichte«, sagte sie.
    »Bitte«, insistierte Alice.
    Ava schenkte Tee nach, und Alice tippte zum Dank auf den Tisch. »Sie
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