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Die Wasserratte von Wanchai / eBook (German Edition)

Die Wasserratte von Wanchai / eBook (German Edition)

Titel: Die Wasserratte von Wanchai / eBook (German Edition)
Autoren: Ian Hamilton
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Prinzessin.
    Ava stand auf und winkte. Der Blick der Frau richtete sich auf sie, und darin lag – was? Enttäuschung? Anerkennung? Vielleicht hatte sie keine Frau – in schwarzem Giordano-T-Shirt und Adidas-Hose – erwartet.
    Sie begrüßten sich auf Kantonesisch, dann sagte Ava: »Eigentlich ist mir Englisch lieber.«
    »Mir auch«, sagte die Frau. »Mein Name ist Alice.«
    »Ava.«
    »Ich weiß.«
    Sie studierten die Speisekarte und kreuzten die sechs gewünschten Dim Sum an. Als der Kellner die Karten abholte, sagte Ava: »Ich weiß, das Restaurant scheint lächerlich billig, ist jedoch hervorragend.«
    »Ich bin nicht zum ersten Mal hier«, erwiderte Alice.
    »Sagen Sie mir, Alice, in welcher Beziehung stehen Sie zu Andrew?«
    »Er ist mein Bruder.«
    »Oh.«
    »Deshalb bin ich hier. Andrew will das Problem nicht an die große Glocke hängen und den Rest der Familie unnötig beunruhigen.«
    »Einer weiß allerdings schon Bescheid: ihr Verwandter in Hongkong, der Onkel aufgesucht hat.«
    »Er ist der Bruder meiner Mutter, unser ältester Onkel, und äußerst diskret. Aber selbst er weiß nur, dass Andrew Hilfe dabei braucht, Geld einzutreiben, das man ihm schuldet.«
    »Drei Millionen Dollar.«
    »Noch mehr. Alles in allem eher an die fünf Millionen.«
    »War es eines dieser chinesischen Geschäfte?«, wollte Ava wissen.
    Alice schien nicht zu begreifen.
    »Sie wissen schon«, fuhr Ava fort, »ein Geschäft, bei dem jemand Geld braucht, es allerdings nicht von der Bank oder den normalen Quellen bekommen kann, sodass er zu seiner Familie gehen muss. Wenn die Familie nicht genug aufbringen kann, gehen sie zu einem Freund der Familie, oder vielleicht hat der einen Freund oder einen Onkel, und das Geld findet seinen Weg zu der Person, die es braucht. Die Sache wird per Handschlag besiegelt – nichts wird schriftlich festgehalten –, und alle Glieder der Kette, sämtliche Verwandte und Freunde, tragen gemeinsam die Verantwortung dafür, dass das Geld zurückgezahlt wird.«
    »Hier liegt der Fall etwas anders«, sagte Alice und zog einen dicken braunen Umschlag aus dem Sing Tao . »Da drin sind sämtliche Informationen. Mein Bruder hat Ihnen einen Brief geschrieben, in dem er erklärt, um welche Art Geschäft es sich handelte und was schiefgelaufen ist. Außerdem hat er zusätzliche Dokumente beigelegt: den Finanzierungsvertrag, Bestellungen, Akkreditive, Rechnungen, E-Mails. Mein Bruder ist überaus gründlich.«
    »Was für eine angenehme Abwechslung«, sagte Ava.
    Das erste Dim Sum wurde serviert: Hühnerfüße in Chu Hou -Sauce mit halbmondförmigen Schnittlauch-Shrimps-Teigtaschen. Beide griffen nach den Hühnerfüßen. Die Unterhaltung stockte, während sie Haut und Fleisch von den Knochen knabberten. Danach kamen Har Gow , pikanter salziger Tintenfisch, Shrimps und Fleisch in gedämpftem Sojaquark sowie Rettich-Kuchen. Alice schenkte Ava stetig Tee nach, die sich jedes Mal bedankte, indem sie mit den Fingern auf den Tisch tippte.
    »Sind auch Sie vom Verlust betroffen?«, fragte Ava.
    »Nein, zum Glück nicht, aber mein Bruder und ich stehen uns sehr nahe.«
    »Welche Art von Unternehmen leitet Ihr Bruder?«
    »Seine Firma hat sich auf Auftragsfinanzierungen und Akkreditive spezialisiert. Sie wissen ja, wie das heute läuft. Eine Firma bekommt einen Großauftrag, ihr fehlt jedoch das Geld für die Produktion. Selbst wenn sie Akkreditive hat, können die Banken sehr schwierig sein. Und wenn die Banken einspringen, dann nie für die Gesamtsumme. Die Firma meines Bruders schließt diese Lücke. Sie streckt den Unternehmen das Geld für die Herstellung vor – zu einem hohen Zinssatz, versteht sich, aber die Firmen wissen von Anfang an darüber Bescheid und kalkulieren ihre Gewinnspannen entsprechend.«
    »Wie hoch ist der Zinssatz?«
    »Mindestens zwei Prozent pro Monat, normalerweise drei.«
    »Nicht schlecht.«
    »Sie decken einen Bedarf.«
    »Das sollte keine Kritik sein.«
    »Wie auch immer, manchmal geht etwas schief. Eigentlich prüft die Firma meines Bruders alles sehr sorgfältig – sie finanziert nichts, was zu riskant erscheint, und die Aufträge und Akkreditive stammen üblicherweise von Bluechip-Unternehmen – und meist sind es nur kleinere Schwierigkeiten.«
    »Bis jetzt.«
    »Ja.«
    »Um welches Bluechip-Unternehmen ging es hier, oder war das eine Ausnahme?«
    »Major Supermarkets.«
    Ava war überrascht. »Das ist die größte Supermarktkette Nordamerikas.«
    »Stimmt.«
    »Was ist
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