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Die Wasserratte von Wanchai / eBook (German Edition)

Die Wasserratte von Wanchai / eBook (German Edition)

Titel: Die Wasserratte von Wanchai / eBook (German Edition)
Autoren: Ian Hamilton
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ist wirklich banal.«
    »Das glaube ich nicht.«
    »Nach der Uni habe ich für ein großes Steuerberatungsunternehmen in Toronto gearbeitet, aber mir wurde schnell klar: Das ist nichts für mich. Um ehrlich zu sein, war ich eine lausige Angestellte. Es war schwierig für mich, Teil einer großen Bürokratie zu sein, deren Effektivität und Produktivität ich nicht in Frage stellen durfte und in der ich tun musste, was von mir verlangt wurde. Rückblickend war ich wohl ziemlich arrogant, eine kleine Klugscheißerin, immer bereit, mich mit meinen Vorgesetzten anzulegen. Als ich nach sechs Monaten das Handtuch geworfen habe, waren sie ebenso erleichtert wie ich. Danach beschloss ich, mein eigenes kleines Unternehmen zu gründen, und mietete ganz in der Nähe ein Büro – zwei Blocks von hier, um genau zu sein –, wo ich für Freunde meiner Mutter und ein paar kleinere Firmen die Buchhaltung gemacht habe. Eine davon, ein Textilimporteur, kriegte Probleme mit einem Lieferanten in Shenzhen. Als er sein Geld nicht zurückbekam, bot ich ihm an, es gegen eine Provision zurückzuholen.«
    »Wieso nahmen Sie an, dass Sie das können?«
    »Ich konnte schon immer sehr überzeugend sein.«
    »Sind Sie dafür nach Shenzhen gereist?«
    »Ja, aber wie ich bei meiner Ankunft entdeckte, hatte der Lieferant mehrere Kunden übers Ohr gehauen, und ich war nicht als Einzige auf der Suche nach ihm, denn er war mit dem Geld untergetaucht. Bei meinen Nachforschungen geriet ich an eine Firma, die ebenfalls hinter dem Mann her war. Ich fand es kontraproduktiv, gegeneinander zu arbeiten, weshalb ich eine Zusammenarbeit vorgeschlagen habe. Dadurch habe ich Onkels Bekanntschaft gemacht.«
    »Ja«, sagte Alice und senkte den Blick. »Andrew hat Mr. Chow erwähnt. Er hat natürlich einen Ruf, aber niemand weiß genau, was wahr ist und was nicht … Also ist er kein Blutsverwandter von Ihnen?«
    Dieselbe Frage, die ihr Bruder schon gestellt hatte. »Nein, er ist ein Onkel im chinesischen Sinne des Wortes.«
    »Verstehe.«
    Sie möchte mich über ihn ausfragen, dachte Ava und erzählte rasch weiter. »Zuerst hatte ich nur indirekt mit ihm zu tun, durch die Leute, die für ihn gearbeitet haben. Es waren ziemlich ungehobelte Burschen – wie in der Branche nicht anders zu erwarten. Sie stimmten einer Zusammenarbeit zu, obwohl sie mich wohl nicht ganz ernst genommen haben. Vielleicht wollten sie mich ins Bett kriegen. Wie auch immer, Onkel hat ein großes Netzwerk, und wir hatten den Kerl ruck, zuck aufgespürt. Allerdings fehlte Onkels Männern beim Eintreiben des Geldes jegliches Feingefühl. Hätte ich nicht meine Wirtschaftsprüfungsmethoden angewandt, hätte der Kerl nie fast zwei Drittel des verlorenen Geldes herausgerückt. Onkel erfuhr, was ich getan hatte, und fragte mich, ob ich für ihn arbeiten wollte. Ich antwortete, ich sei wenig angetan von seinen Mitarbeitern, und er meinte, er wolle sich im Laufe der Zeit von ihnen trennen, weil ihm meine Arbeitsweise gefiele und wir hervorragend zusammenpassen würden. Das war vor zehn Jahren. Meist bestand die Firma nur aus uns beiden.«
    »Sie sind offenbar sehr erfolgreich.«
    »Es läuft nicht schlecht.«
    Die Rechnung kam, und Alice legte zwanzig Dollar auf das Tablett. »Ava, klang mein Bruder sehr verzweifelt?«
    Ava zog sich ihre Jacke über. »Nicht mehr als die meisten unserer Klienten.«
    »Tja, er ist völlig am Ende. Die fünf Millionen Dollar sind fast das gesamte Kapital, das unsere Familie über zwei Generationen angehäuft hat.« Sie nahm Avas Hand und drückte sie. »Bitte, tun Sie Ihr Bestes – helfen Sie uns.«

3
    E s war fast vier Uhr, als Ava vor ihrem Appartementkomplex parkte, dem Portier den Autoschlüssel zuwarf und mit dem ungeöffneten Umschlag unter dem Arm nach oben in ihre Wohnung ging.
    Sie öffnete eine Tüte saurer Drops, kochte sich Kaffee und setzte sich an den Küchentisch. Es war lange her, dass sie darüber nachgedacht, geschweige denn darüber geredet hatte, wie sie Onkel kennengelernt und mit ihm ein Geschäft aufgebaut hatte. Sie hatte Alice Tam die Wahrheit erzählt, allerdings nicht die ganze Wahrheit. Wenn sie daran dachte, wie naiv sie anfangs gewesen war und was sie heute leisten konnte, kam es ihr vor wie zwei verschiedene Leben.
    Anfangs war sie geschickt, was das Finanzielle anging, und ihre Neugier, ihr Einfallsreichtum und ihre Ausbildung kamen ihr zugute, sobald es darum ging, Geld an Orten aufzuspüren, die Betrüger für unauffindbar
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