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Die Wasserratte von Wanchai / eBook (German Edition)

Die Wasserratte von Wanchai / eBook (German Edition)

Titel: Die Wasserratte von Wanchai / eBook (German Edition)
Autoren: Ian Hamilton
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unheimliche Präzision.
    Doch schließlich hatte sie es gemeistert. »Ich kann allein auf mich aufpassen«, hatte sie zu Onkel gesagt, und in all den Jahren ihrer Zusammenarbeit hatte sie ihm nie Grund gegeben, daran zu zweifeln.
    Es waren einträgliche Jahre gewesen, in denen Ava genug für die Eigentumswohnung, den Wagen und eine beachtliche Wertpapiersammlung verdient hatte. Doch wenn sie und Onkel einen Fall erfolgreich abschlossen, war das Geld nicht der einzige Grund für ihre Zufriedenheit. Zuerst musste es aufgespürt werden – und der Weg dorthin war jedes Mal ein anderer. Das war manchmal sehr strapaziös für Ava, doch es zwang sie auch, ihre Sinne zu schärfen und ihre Denkgewohnheiten zu erweitern. Dann gab es noch die Klienten. Zwar beklagte sich Ava manchmal über sie, besonders diejenigen, die völlig verzweifelt, zu aufdringlich und fordernd waren, trotzdem teilte sie Onkels Überzeugung, dass sie verlorene Seelen auf der Suche nach Erlösung waren. »Wenn wir ihr Geld zurückholen, retten wir ihnen in Wirklichkeit das Leben«, sagte er immer, und sie war derselben Meinung.
    Ava nahm ein schwarzes Moleskin-Notizbuch vom Tisch, schlug die erste Seite auf und schrieb Andrew Tam auf das linierte Papier. Sie legte für jeden Auftrag ein Notizbuch an, in das sie jeden Tag akribisch alles eintrug, was ihr relevant erschien. Die abgeschlossenen Notizbücher lagerten in einem Tresorfach der Toronto Dominion Bank zwei Blocks von ihrer Wohnung entfernt.
    Der braune Umschlag war prall gefüllt, und die Vorstellung, sich durch diesen Papierwust kämpfen zu müssen, entlockte ihr ein unwillkürliches Seufzen. Eine oberflächliche Durchsicht zauberte jedoch ein Lächeln auf ihr Gesicht. Die Dokumente waren mustergültig geordnet, es war ein kompletter, chronologischer Bericht von Andrew Tams geschäftlichen Transaktionen mit einem Unternehmen namens Seafood Partners, beginnend mit dem Schreiben, worin Tam die Geschehnisse von A bis Z zusammenfasste. In dem Bericht bezog er sich auf beiliegende Appendices, die sorgfältig durchnummeriert waren. Ava bewunderte seine Gründlichkeit, weshalb sich ihr die Frage stellte, was ihn geritten hatte, sich ausgerechnet auf Geschäfte mit einer Meeresfrüchte-Firma einzulassen.
    Von all den dubiosen Gestalten, mit denen sie in der Vergangenheit zu tun hatte, waren die Meeresfrüchte-Typen die schlimmsten. Sie schienen auf Betrug programmiert zu sein, und wenn sie das Geld erst einmal in den Fingern hatten, war es schwieriger, es ihnen wieder abzujagen, als mit bloßen Fingern Zähne zu ziehen. Ein Klient aus Vancouver hatte einmal zwei knapp zwölf Meter lange Container mit chinesischen Jakobsmuscheln gekauft. Als sie in Kanada eintrafen, stellte sich heraus, dass die Kisten darin – die eindeutig mit »Jakobsmuscheln« gekennzeichnet waren – nur Makrelen mit Gefrierbrand enthielten. Um den Verpacker ausfindig zu machen, war Ava fast zwei Wochen durch verschiedene Meeresfrüchte-Fabriken im staubigen, schmutzigen Dalian getingelt, das im Nordosten Chinas am Gelben Meer nahe der koreanischen Grenze lag, und es dauerte eine weitere Woche, das Geld zurückzubekommen. Sie hätte sicher noch länger gebraucht, wenn Onkel ihr nicht Kontakt zu einem hochrangigen General vermittelt hätte. Zwar mussten sie die Provision mit ihm (und vermutlich dem Rest seiner Einheit) teilen, aber ohne seinen Einfluss hätte es bestimmt noch länger gedauert.
    Tams Unternehmen hieß Dynamic Financial Services. Es hatte seinen Sitz in unmittelbarer Nachbarschaft zur Hongkonger Shanghai Bank in Central, dem Herzen des Bankenviertels. Eine Firma namens Seafood Partners hatte Tams Firma vor fast einem Jahr um die Finanzierung eines Auftrags von Major Supermarkets gebeten, bei dem es um sechs Millionen Pfund gekochte, gepulte und entdarmte Thai-Shrimps inklusive Schwanz ging.
    Ava notierte die erste Frage: Wer hat den Kontakt zwischen Dynamic Financial Services und Seafood Partners vermittelt?
    Der Auftrag galt für einen Zeitraum von zwölf Monaten, in denen der Kaufpreis konstant bleiben sollte.
    Frage Nummer zwei: Sind Shrimps nicht starken Preisschwankungen unterworfen? Wie konnte Seafood Partners sich Major Supermarkets für ein ganzes Jahr verpflichten?
    Das Produkt sollte unter Major Supermarkets’ Markennamen verpackt werden, zudem hatte Tam eine Kopie der Spezifikationen beigefügt, die nicht allzu streng zu sein schienen. Jeder Beutel musste 37 bis 39 Shrimps enthalten und ein reines
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