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Die Washington-Akte

Die Washington-Akte

Titel: Die Washington-Akte
Autoren: Steve Berry
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sollen.«
    Von der Besatzung der Slup über sein Hauspersonal und die Leute auf seinem Anwesen bis hin zu ihm selbst – besagte Artikel waren das, was sie zusammenband.
    »Du hast einen Eid geschworen und dein Wort gegeben«, rief er von der Reling herüber. »Du hast die Artikel unterschrieben.«
    So sicherte er sich die Loyalität seiner Leute. Gelegentlich wurden die Artikel jedoch verletzt, und damit musste man sich befassen. Wie heute.
    Wieder blickte er auf das blaugraue Wasser hinaus. Eine steife Brise aus Südosten blähte die Segel der Adventure. Sie befanden sich fünfzig Meilen vor der Küste und segelten von Virginia nach Hause zurück. Das DynaRig-System funktionierte perfekt. Mit seinen fünfzehn rechteckigen Segeln war das Schiff die moderne Variante des Rahseglers von einst. Der Unterschied war, dass die Rahen sich jetzt nicht mehr um einen festen Mast bewegten. Sie waren vielmehr am Mast fixiert, und stattdessen drehten sich nun die Masten mit dem Wind. Kein Matrose musste sich in die Höhe wagen und die Takelage lösen. Die Segel wurden vielmehr mit Hilfe eines elektrischen Motors in weniger als sechs Minuten aus dem Mast ausgefahren. Computer sorgten für eine optimale Segelstellung, so dass die Segel immer windgefüllt waren.
    Er sog die salzige Luft ein und versuchte, einen klaren Kopf zu bekommen.
    »Sag mir eines«, rief er.
    »Alles, Quentin. Aber hol mich nur aus diesem Käfig heraus.«
    »Das Hauptbuch. Hast du das erwähnt?«
    Der Mann schüttelte den Kopf. »Mit keinem Wort. Sie haben UBS -Unterlagen beschlagnahmt, vom Hauptbuch war nie die Rede.«
    »Ist es in Sicherheit?«
    »Wo wir es immer aufbewahren. Nur wir beide wissen Bescheid.«
    Hale glaubte ihm. Bisher war also noch kein Wort über das Hauptbuch gefallen, was einen Teil seiner Befürchtungen widerlegte.
    Aber nicht alle.
    Die Stürme, die ihm ins Gesicht blasen würden, würden viel schlimmer sein als das Unwetter, das sich gerade im Osten zusammenbraute. Die amerikanischen Geheimdienste, die Steuerbehörde und das Justizministerium würden sich mit ganzer Kraft auf ihn stürzen. Er befand sich in einer ähnlichen Lage wie damals seine Vorfahren, als Könige, Königinnen und Präsidenten ganze Flotten losgeschickt hatten, um die Slups zur Strecke zu bringen und ihre Kapitäne zu hängen.
    Er wandte sich wieder dem erbärmlichen Mann im Eisenkäfig zu und trat näher.
    »Bitte, Quentin. Ich flehe dich an. Tu das nicht.« Die Worte wurden von Schluchzern unterbrochen. »Ich habe dich nie nach dem Geschäft gefragt. Es war mir immer gleichgültig. Ich habe nur das Hauptbuch geführt. Genau wie mein Vater. Und dessen Vater. Ich habe nie einen Penny veruntreut. So etwas haben wir nie getan.«
    Nein, das konnte man seiner Familie nicht vorwerfen.
    Aber Artikel 6 war eindeutig.
    Falls jemand die Besatzung als Ganzes schädigt, wird er erschossen.
    Noch nie hatte das Commonwealth sich einer so großen Bedrohung gegenübergesehen. Wenn er doch nur den Schlüssel finden und den Geheimtext lesen könnte. Damit wäre die Sache erledigt, und das, was er nun gleich tun würde, wäre überflüssig. Doch leider gehörte es eben manchmal auch zu den Pflichten eines Kapitäns, unangenehme Dinge zu befehlen.
    Er winkte. Drei Männer kamen herbei, hoben den Galgenkäfig hoch und schleppten ihn zur Reling.
    Der Gefesselte schrie. »Tu das nicht, bitte. Ich dachte, ich kenne dich. Ich dachte, wir wären Freunde. Warum verhältst du dich wie ein verdammter Pirat?«
    Die drei Männer stockten kurz und warteten auf ein Zeichen.
    Er nickte.
    Der Käfig wurde über Bord geworfen, und die See verschlang das Opfer.
    Die Besatzungsmitglieder kehrten an ihre Plätze zurück.
    Hale stand allein an Deck, das Gesicht im Wind, und dachte über die letzte Beleidigung des Mannes nach.
    Warum verhältst du dich wie ein verdammter Pirat?
    Seeungeheuer, Höllenhunde, Seeräuber, Widersacher, Korsaren, Freibeuter, Brecher aller menschlichen und göttlichen Gesetze, Teufel in Menschengestalt, Kinder des Bösen.
    So nannte man die Piraten.
    Gehörte er zu ihnen?
    »Wenn es das ist, was man von mir glaubt«, flüsterte er. »Warum denn nicht?«
    3
    New York City
    Jonathan Wyatt verfolgte die Entwicklung der Lage. Er saß allein an einem Fenstertisch im New York Central Restaurant des Grand Hyatt. Die Glaswand des Speisesaals bot einen freien Blick auf die zwei Stockwerke weiter unten gelegene East 42nd Street. Er hatte gesehen, wie die Straße abgeriegelt und die
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