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Die Wanifen

Die Wanifen

Titel: Die Wanifen
Autoren: René Anour
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fest. »Was hast du vor?«
    »Ich hab doch gesagt, es geht dich nichts an«, zischte ich.
    Ich wollte mich abwenden, aber Gorman hielt mich zurück.
    »Ich komme mit«, sagte er.
    »Das darfst du nicht«, murmelte ich. »Du darfst nicht in meiner Nähe sein.«
    »Ich komme mit«, wiederholte Gorman bestimmt. In seinem Blick lag etwas, das mir sagte, ich würde ihn nicht vom Gegenteil überzeugen können, so sehr ich das auch wollte. Aber irgendwo tief in mir, an einem Ort, an dem Gedanken keine Macht haben … war ich erleichtert.
     
    Es war seltsam, zu sehen, um wie viel schneller die Nacht hereinbrach, wenn man sich nicht an den Ufern des Sees, sondern im Wald befand. Die Wälder des Seenlandes wuchsen dicht, ich konnte den Himmel meistens nur erahnen. Tagsüber herrschte schummriges Dämmerlicht, in der Nacht pechschwarze Finsternis. Ich hatte es immer vermieden, nachts in den Wald zu gehen. Man wurde schnell zur Beute, wenn man nicht aufpasste.
    Auf unserem Weg begegnete uns eine kleine Herde Wildpferde. Die Tarpane zogen dicht an uns vorbei, um später im Schutz der Nacht auf den Wiesen am Nordufer zu grasen. Im dunklen Tann gibt es mehr Leben, als du ahnst , hatte mein Vater mir früher immer erzählt.
    Nach ein paar Stunden hörten wir das Rauschen von Wasser und wenige Augenblicke später machten wir das silbrige Funkeln des Weytaflusses zwischen den Bäumen aus. Ich beobachtete, wie Gorman mit angespannter Miene das Ufer absuchte. Auch wenn ich überzeugt war, dass kein wildes Tier es mit Gorman aufnehmen konnte, mussten wir vorsichtig sein. In der Nacht kamen die großen Räuber an den Fluss, um zu jagen.
    »Alles in Ordnung«, sagte Gorman und trat auf das steinige Ufer hinaus. »Hier ist ein guter Platz für eine Rast«, meinte er, ohne sich nach mir umzusehen. »Wir brauchen ein Feuer, wegen der Tiere.«
    »Ich möchte nicht zu lange bleiben«, erwiderte ich leise.
    Gorman wandte sich mir zu. Sogar in der Dunkelheit konnte ich sein Lächeln erkennen. Ob er diese Zuversicht auch ausstrahlen würde, wenn er wüsste, was Alfanger mir erzählt hatte?
    »Hilf mir bitte, Ainwa. Ich brauche Treibholz.«
    »In Ordnung.« Ich seufzte. »Aber ich werde noch vor Mitternacht weitergehen. Auch ohne dich.«
    Ich drehte mich um und begann, zwischen den hellen Flusssteinen nach Ästen zu suchen, die der Fluss beim letzten Hochwasser angeschwemmt hatte. Dazwischen richtete ich mich immer wieder auf und blickte mich um.
    Es war nun völlig dunkel und ich versuchte vergeblich, den Schatten des Waldes auf der anderen Seite des Flusses mit meinen Blicken zu durchdringen. Alles Mögliche konnte sich in der Finsternis verbergen. Ob der Kelpi schon auf mich lauerte? Vielleicht beobachtete er mich und wartete nur darauf, dass ich ihm in die Arme lief …
    Schluss jetzt! Hör endlich auf, dich verrückt zu machen.
    Ich sah nach oben. Ein blutroter Mond hing am Nachthimmel und jagte mir kalte Schauder über den Rücken. Blut pochte rasch durch meine Adern und ich hatte den Eindruck, mein Geist würde bei jedem Pulsschlag vibrieren.
    Ich zwang mich, das Gefühl zu ignorieren. Ich musste konzentriert bleiben und alles beiseiteschieben, was mich ablenken könnte. Elfgreth und Elman waren verwirrt gewesen – jetzt waren sie tot!
    Ein leises Rascheln riss mich aus meinen Gedanken. Ich fuhr herum, doch hinter mir hockte nur Gorman, der geduldig versuchte, Funken mit seinen Feuersteinen zu schlagen.
    Mein Blick fiel wieder auf das gegenüberliegende Flussufer. Für einen winzigen Augenblick glaubte ich, zwei Gestalten durch den Wald wandern zu sehen, so lautlos, als wären sie Geister.
    »Gorman«, flüsterte ich, »Gorman, siehst du das?«
    Gorman sprang mit erhobenem Speer auf und blickte sich um.
    »Was?«, wisperte er.
    Als ich wieder in den nächtlichen Urwald blickte, sah ich die Gestalten nicht mehr.
    »Urukus!«
     
    Gorman und ich saßen dicht am Lagerfeuer. Ich hatte sofort aufbrechen wollen, nach dem, was ich zuvor im Wald gesehen hatte, doch Gorman hatte beharrlich auf einer Rast bestanden. Ich beobachtete ihn, wie er nachdenklich in die Flammen starrte. Egal, was er tat, er strahlte immer natürliche Würde aus, geradeso, als wäre er Alfangers alten Geschichten entsprungen. Der Feuerschein flackerte über die Tätowierung an seiner Schläfe, die ihn als künftigen Häuptling der Ata auswies. Er war der einzige Jäger, der sein Haar kurz tragen musste, nur im Nacken war es etwas länger und zu drei fingerdicken Zöpfen
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