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Die Wanifen

Die Wanifen

Titel: Die Wanifen
Autoren: René Anour
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und dass ich Urukus in den Bergen suchen soll. Warum willst du mich überhaupt aufhalten? Es wäre für alle besser, wenn ich fortginge, auch für dich. Die anderen werden dir wieder mehr vertrauen. Ich bin keine Wanife! Du würdest mich niemals in die Berge schicken, wenn heute etwas Besonderes mit mir passieren würde. Hier schützt uns der Zaun und die Tiere wagen sich nicht auf die Stege. Im Dorf ist es viel sicherer.«
    »Nein, Ainwa«, rief Alfanger hastig.
    Ich warf ihm einen verstörten Blick zu. So hatte ich ihn nie zuvor erlebt, erfüllt von einer Angst, die schon sehr lange an ihm nagen musste.
    »Nein, du wärst nicht sicher … Er würde dich finden!«
    »Wer?«
    Alfanger seufzte und senkte den Blick.
    »Es gibt einen Grund, warum es in unserer Mitte schon lange keine Wanifen mehr gibt. So lange, dass alle glauben, sie wären nur eine Legende … Alle außer mir! Ich habe zwei vor dir gekannt, Ainwa, die dazu bestimmt waren, Wanifen zu werden. Die Zwillinge, Elfgreth und Elman. Heute bin ich der Einzige, der sich noch an sie erinnert. Unschuldige Kinder, aber mit großem Wissen, das ihnen niemand beigebracht hatte.«
    Alfanger schloss für einen Moment die Augen.
    »In der Nacht, in der sich ihr achtzehntes Jahr vollendete, hat sie der Kelpi geholt und sie verschwanden für immer.«
    »Der Kelpi?«
    Alfanger starrte auf das spiegelglatte Wasser des Sees hinaus, als suchte er nach etwas, jenseits der dicht bewaldeten Hänge, die ihn säumten.
    »Ein böser Geist, Schatten und Blut vereint. Er erwacht in derselben Nacht wie das Blut der jungen Wanifen. Der Kelpi kann es spüren, ihr Blut! Er folgt ihnen … hetzt sie und sie verschwinden für immer!
    Findet er dich heute Nacht, Ainwa, bevor du den Eingang ins Reich der Urukus findest, wird er auch dich töten!«
    Ich fühlte, wie mir die Farbe aus dem Gesicht wich.
    »Die Geister existieren nicht«, murmelte ich. »Das ist doch nur eine Geschichte.«
    »Bei allem, was ich dir beigebracht habe, Ainwa«, flüsterte Alfanger. »Ich schwöre, es ist keine Geschichte! Heute Nacht wird der Kelpi Jagd auf dich machen – und auf alle, die bei dir sind.«
    »Woher willst du das wissen?«
    Der Alte zögerte. Tränen standen in seinen Augen.
    »Ich hab ihn gesehen«, flüsterte er.
    Ich warf ihm einen ungläubigen Blick zu. Für eine Weile schwiegen wir.
    »In jener Nacht hörte ich die Schreie der Zwillinge«, murmelte Alfanger mit rauer Stimme. »Hilferufe von Menschen, die den Tod vor Augen haben. Ich folgte ihnen, tief in den Wald hinein … Ich kann dir nicht erzählen, was ich gesehen habe, Ainwa. Es war so schrecklich, meine Zunge verweigert mir nach all den Jahren noch immer den Dienst, wenn ich daran denke.
    Vergib mir, dass ich dir das nicht früher erzählt habe, dass ich dir verschwiegen habe, was du bist. Ich hätte es dir gesagt, aber ich habe versucht, es zu ändern, Ainwa. Ich hatte gehofft, es würde einfach verschwinden, wenn du deine Gaben nicht nutzt. Jetzt erst verstehe ich, wie falsch das war, aber ich wollte, dass du glücklich bist und sorgenfrei, so lange wie möglich.«
    »Heißt das, der Kelpi wird mich heute Nacht holen, auch wenn ich hierbleibe?«
    Alfanger schloss die Augen und vergrub sein ergrautes Haupt in den Händen.
    Ich sprang so heftig auf, dass der Steg gefährlich schwankte.
    »Du hättest es mir sagen müssen! Ich hätte gegen den Kelpi kämpfen können. Gorman hätte mir gezeigt, wie!«
    »Dein Bruder ist ein Jäger, Ainwa. Ein Jäger mag sein Volk vor einem Rudel Wölfe beschützen, vor einem Bären oder vor Löwen, wenn sie der Winter in unser Tal treibt.
    Der Kelpi ist von anderer Art. Er ist so schnell, dass ihm das Auge nur schwer folgen kann. Sein Blick kann lähmen und er ist stärker als ein Wisentbulle. Kein Jäger kann es mit ihm aufnehmen.«
    Ich schüttelte langsam den Kopf. Das alles erschien mir wie ein wirrer Traum.
    »Wieso … wieso jagt der Kelpi die Wanifen?«
    »Ich weiß es nicht, Ainwa, aber was immer der Grund ist, er wird heute Nacht nicht ruhen, bis er dich geholt hat.«
    »Was kann ich tun?«, fragte ich. Mein Herz fühlte sich wie betäubt an. »Was kann ich tun, damit er mich nicht findet?«
    »Du musst dich beeilen! Warte nicht, bis er dich jagt, vielleicht kann dich das retten. Nimm den Eibenbogen, den Gorman dir geschenkt hat, zum Schutz gegen wilde Tiere. Ich gebe dir meine Bergkristalle. Bildest du einen Kreis mit ihnen, schützen sie dich vielleicht gegen die Kraft des Kelpis.«
    Ich
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