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Die Wall Street ist auch nur eine Straße

Die Wall Street ist auch nur eine Straße

Titel: Die Wall Street ist auch nur eine Straße
Autoren: Jim Rogers
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jeweils erste Jahr jedes der letzten fünf Jahrzehnte; 1960, 1970 und weiter bis zum Millennium. Die allgemeinen Überzeugungen, die zu Beginn jedes Jahrzehnts vorherrschten, wurden in den folgenden 10 oder 15 Jahren zerstört.
    WÄHREND MEINES STUDIUMS in Oxford reiste ich aus Geldmangel nicht so viel herum, wie ich es gern getan hätte. Aber dort wurde mein Drang zum Reisen erstmals belohnt. Das akademische Jahr in England wird durch zwei sechswöchige Ferien unterbrochen, jeweils an Weihnachten und an Ostern. Ebenfalls aus Geldmangel konnte ich in meinem ersten Jahr an Weihnachten nicht nach Hause fliegen, und deshalb reiste ich mit zwei anderen Amerikanern, die ein Auto hatten und nach Marokko fahren wollten. In Madrid trennten wir uns. Während die beiden anderen weiter nach Süden reisten, fuhr ich per Anhalter nach Lissabon und dann hinunter nach Gibraltar, wo ich mich wieder mit ihnen treffen und zurück nach Oxford fahren wollte. Als ihre Fähre in Gibraltar landete, saßen drei junge Frauen mit ihnen im Auto.
    Eine der drei war ein nettes und hübsches jüdisches Mädchen namens Lois. Sie stammte aus Philadelphia und hatte gerade ihren Abschluss an der University of Pennsylvania gemacht. Sie hatte einen Verwandten, einen Arzt, der für die amerikanische Botschaft in Kopenhagen arbeitete, und wohnte bei ihm und seiner Familie, während sie Europa bereiste. Sie war auf dem Weg nach Dänemark. Nach etwa 300 Kilometern Fahrt Richtung Norden ging das Auto kaputt. Obwohl es mich einige Mühe kostete, überredete ich Lois, mit mir per Anhalter bis nach Paris zu fahren. Dort könnte sie einen Zug nach Kopenhagen nehmen und ich würde meinen Heimweg fortsetzen. Wir verbrachten drei oder vier Nächte auf der Straße – sie schlief in zwei Paar Skihosen – und in Paris. Kurz bevor wir uns trennten, aßen wir im Bahnhof noch etwas.
    »Du kannst jetzt noch nicht gehen«, sagte ich zu ihr. »Du hast deinen Teller noch nicht leer gegessen.«
    »Ich bin 22 Jahre alt«, sagte sie. »Ich muss nicht alles essen, was auf meinem Teller liegt.«
    »Haben dir deine Eltern nicht gesagt, dass du an die armen hungrigen Kinder in China denken musst, als du ein kleines Mädchen warst?«
    »Als ich ein kleines Mädchen war, sagten mir meine Eltern, dass ich an die armen hungrigen Kinder in Alabama denken soll.«
    An Weihnachten in meinem zweiten Jahr in Oxford hatte Lois dort ein Appartement gemietet. Im Sommer fuhren wir zusammen per Anhalter nach Jugoslawien, und dann nahmen wir an einer dreiwöchigen Studienreise teil, die ich gebucht hatte und die uns durch fünf weitere kommunistische Länder führte. Wir reisten nach Ostdeutschland, nach Polen, in die Tschechoslowakei, in die Ukraine und nach Russland. Auf diesen Reisen blickte ich erstmals auf das Leben hinter dem Eisernen Vorhang und erfuhr ebenfalls erstmals, wie der Schwarzmarkt funktioniert.
    Der Rubel war keine konvertierbare Währung. Auf dem Markt konnte man ihn weder kaufen noch verkaufen. Es war somit illegal, Rubel in die Sowjetunion einzuführen oder sie aus dem Land zu bringen. Aber im Büro von American Express in London gab es Rubel, und man konnte sie dort mit einem riesigen Preisabschlag kaufen – genau wie man es auf dem Schwarzmarkt innerhalb Russlands tun konnte – und erhielt ungefähr das Fünffache des offiziellen Wechselkurses. Wir kauften in London ein ganzes Bündel Rubel, Lois stopfte sie in ihren BH und wir schmuggelten sie nach Russland. Die dort erhältlichen Güter und Dienstleistungen, nach westlichen Maßstäben ohnehin schon billig, waren für uns nun umso billiger. Noch Jahre später, als ich um die Welt reiste und entlegene Grenzen überquerte, gehörte es zu meinen ersten Zielen, den Schwarzmarkt zu finden.
    An unserem dritten gemeinsamen Weihnachtsfest waren Lois und ich schon verheiratet – obwohl ihre Eltern äußerst unglücklich darüber waren, dass ich kein Jude war –, und ich hatte meinen Blick auf die Wall Street gerichtet.

3. Auf eigene Faust
    1966 entkam in Marengo County niemand der Einberufung. Das Einberufungsbüro bestand nur aus einer Dame, deren beide Söhne man seinerzeit ebenfalls für den Militärdienst rekrutiert hatte. Beide waren gefallen, allerdings schon in früheren Kriegen als dem, der damals gerade in Vietnam stattfand. Ich war strikt gegen diesen Krieg, und das hätte man eigentlich auch von der Dame erwarten können, aber ihr Opfer hatte ihre Unterstützung dieses Konflikts eher verstärkt als geschwächt.
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