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Die Wall Street ist auch nur eine Straße

Die Wall Street ist auch nur eine Straße

Titel: Die Wall Street ist auch nur eine Straße
Autoren: Jim Rogers
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Als ich 1964 in Oxford eintraf, wurde die Londoner City, der Finanzdistrikt der britischen Hauptstadt, geradezu ignoriert. Die besten und klügsten Studenten in Balliol strebten Karrieren im Staatsdienst oder an einer Universität an. Ein Job in der City war etwas für die Söhne von Idioten.
    Mein Wirtschaftsdozent hatte recht. Die City war, ebenso wie die Wall Street, zu einem toten Gewässer geworden.
    Als ich 2010 zurückkam, um meinen Vortrag zu halten, hatten sich die Zeiten ganz offensichtlich geändert. London war wieder ein globales Finanzzentrum, tatsächlich das führende Finanzzentrum der Welt. Und die Balliol-Studenten, die meinen Vortrag hörten, gehörten zu einer Generation von Gelehrten, die im Investmentbanking Karriere machen wollten. Viele von ihnen hätten am liebsten von ihren Schlafzimmern aus Hedgefonds gemanagt.
    Sie wollten tun, was ich tat, sagten sie mir und fragten mich, was sie studieren sollten. Studieren Sie Philosophie, sagte ich ihnen, studieren Sie Geschichte. Nein, nein, nein, antworteten sie mir, sie wollten in der City arbeiten, sie wollten reich werden. In diesem Fall, entgegnete ich, sollten sie sich von der City fernhalten, denn sie würde bald wieder ein totes Gewässer sein. Finanzen, das ist vorbei, sagte ich ihnen. Studieren Sie lieber Landwirtschaft. Wenn sie reich werden wollten, so mein Rat, sollten sie alle Farmer werden.
    Allein in den USA machen heute jedes Jahr über 200 000 junge Leute ihren MBA-Abschluss, verglichen mit 5000 im Jahr 1958. Der Rest der Welt produziert Zehntausende weitere (1958 gab es außerhalb der USA keinen einzigen ). In einigen Jahrzehnten werden diese Abschlüsse in den Wirtschaftswissenschaften wertlos sein – eine Verschwendung von Zeit und Geld. Es gibt in der Finanzgemeinde heute riesige Schulden; in früheren Jahrzehnten war das anders. Es gibt neue Kontrollen, Regulierungen und Steuern, die das Finanzwesen verteuern. Und die Regierungen stehen den Vertretern von Finanzunternehmern immer kritischer gegenüber, so wie es in den 1930er-Jahren war.
    Alle diese MBA-Absolventen hätten besser akademische Abschlüsse in Landwirtschaft und Bergbau erworben. Heute studieren mehr Menschen Public Relations als Landwirtschaft und mehr studieren Sportausbildung oder Sportmanagement als Bergbauwissenschaften. In der Zukunft wird die Landwirtschaft aber ein sehr viel lukrativerer Wirtschaftssektor sein als das Finanzwesen. Bald werden Aktienbroker Taxis lenken – oder die klügeren unter ihnen werden Traktoren lenken und für die Farmer arbeiten –, während die Farmer in Lamborghinis herumfahren.
    (Eine Bemerkung am Rande: Lamborghini begann als Traktorenhersteller. Ferruccio Lamborghini gründete die ursprüngliche Firma, Lamborghini Trattori, 1948 und baute seine ersten Traktoren aus überschüssigen Automotoren und nutzlosem militärischem Material. Schon bald war er der größte Hersteller landwirtschaftlicher Nutzfahrzeuge in Italien. Automobili Lamborghini gründete Ferruccio 1963. Ich habe immer wieder die Geschichte gehört, dass er dies deswegen tat, weil er Enzo Ferrari eines seiner Autos abkaufen wollte und Signor Ferrari ihm spöttisch antwortete, er wolle keine Traktorfahrer in einem seiner Autos sehen. Da Not erfinderisch macht, baute Ferruccio seine eigenen Autos.)
    Wir befinden uns weltweit in einer langen, säkularen Hausse an den Rohstoffmärkten. Während der letzten Hausse bei Rohstoffen und Agrarprodukten in den 1970er-Jahren, als die Nahrungsmittelpreise dramatisch stiegen, wurden große Vorräte aufgebaut. In den 1980er-Jahren lagen die weltweiten Nahrungsmittelvorräte bei etwa 35 Prozent des Verbrauchs; wahrscheinlich der höchste Wert, seit es auf diesem Gebiet Aufzeichnungen gibt. Folglich stürzten die Preise am Ende ab. Zum Beispiel fiel der Zuckerpreis je Pound (454 g) von 66 Cent 1974 auf 2 Cent 1987. Überall litten die Farmer, und zwar so sehr, dass in den USA Musiker wie Willie Nelson Farm­Aid-Konzerte organisierten, um ihnen zu helfen. Als ökonomischer Sektor war die Landwirtschaft ein Desaster. Jeder zukünftige Farmerbe in Amerika schnappte sich stattdessen einen von diesen MBA-Titeln und ging zur Wall Street. Dort war das Geld. Dort war die Action.
    Aber die Zeiten haben sich geändert. Das Durchschnittsalter der Farmer in den USA liegt heute bei 59 Jahren. In zehn Jahren werden diese Farmer 69 sein, wenn sie noch leben. In Japan liegt das jetzige Durchschnittsalter sogar noch höher: bei 67 Jahren. Dort
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