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Die Wahrheit und andere Lügen

Die Wahrheit und andere Lügen

Titel: Die Wahrheit und andere Lügen
Autoren: Sascha Arango
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helfenden Hand des Schicksals gedankt, die ohne Ansehen der Person eingreift, um kleine Korrekturen vorzunehmen, welche aussichtslose Situationen in Siegerehrungen verwandeln. Er, der sonst alles bedachte, hatte nicht erwartet, dass eine Nebensächlichkeit wie ein Autoschlüssel solche Bedeutung erlangen könnte. Und so hilfreich wie in seinem Fall. Für Verbrecher aller Art und ganz sicher auch für Versicherungsbetrüger kann das nur bedeuten, dass es bei der Fabrikation von Legenden keine Nebensächlichkeiten gibt, sondern nur gleichermaßen wichtige Details.
    Â»Wir glauben ebenso wenig, dass dieser geheimnisvolle Mann existiert, den Sie erwähnten.«
    Â»Aber sie war schwanger«, antwortete Henry. »Wer ist denn dann der Vater?«
    Jenssen wollte etwas sagen, aber Blum unterbrach ihn erneut. »Wir hatten gehofft, Sie könnten uns in dieser Frage weiterhelfen.«
    Â»Helfen? Sie hat mir nicht verraten, wer es ist. Hat sie es irgendwem erzählt? Ich weiß es nicht.«
    Â»Haben Sie nicht gefragt?«
    Â»Doch. Ich habe sie gefragt, sie hat nur gesagt, er sei ein gefährlicher Mann.«
    Â»Sie sind damit nicht gemeint, oder?«
    Henry lachte. »Sie überschätzen mich, Herr Jenssen. Ich weiß nicht, ob das eine Unverschämtheit oder ein Kompliment sein soll.«
    Henry fand, dass es nun an der Zeit war, die Herrschaften in das Geheimnis einzuweihen, was sich wirklich an den Klippen abgespielt hatte. Awner Blum sprach das Zauberwort aus, das den Weg dahin öffnete.
    Â»Ihre Frau und Ihre Lektorin gingen also öfter zusammen baden.«
    Â»Das ist richtig und wiederum falsch. Meine Frau war meine Lektorin.« Henry legte eine Wirkungspause ein. »Sie las jeden Tag jedes Wort meiner Texte. Sie sah, was ich nicht sah. Ohne sie hätte ich keinen Roman zustande gebracht. Ich glaube, Betty hat darunter gelitten.«
    Â»Und was«, Blum formte nachdenklich eine Weltkugel mit den Fingern, »gestatten Sie mir die Zwischenfrage, was lektorierte dann Ihre Lektorin?«
    Â»Nichts. Sie war nicht kompetent, sie war zu ambitioniert, ich habe ihr nicht vertraut. Wenn der Roman fertig war, brachte ich ihn in den Verlag. Betty las nur das fertige Manuskript.«
    Â»Und wofür wurde sie dann bezahlt?«
    Eine Frage, die nur ein Beamter stellen kann. Henry lächelte verständnisvoll, denn was verstehen Bürokraten schon von Literatur? »Bitte verstehen Sie mich nicht falsch, ich verdanke Betty viel, wenn nicht alles, denn sie hat meinen ersten Roman entdeckt. Frank Ellis , ich weiß nicht, ob Sie den gelesen haben.«
    Â»Ich nicht«, entgegnete Blum, »aber Kollege Jenssen hier hat ihn gelesen. Er ist unser Bücherwurm und schwärmt davon heute noch in höchsten Tönen, stimmt’s, Jenssen?« Der nickte gequält. Henry konnte sehen, dass der arme Kerl es hasste, als Tanzbär-Stimmt’s-Jensen vorgeführt zu werden. Das ist ein Mordmotiv, dachte Henry. Los, Jenssen, erschieß den Hund mit deiner Dienstwaffe und schmeiß ihn in den Hof. Meinen Segen hast du.
    Â»Martha hat ab und an mit Frau Hansen über den Fortschritt meiner Arbeit gesprochen«, fuhr Henry fort. »Wahrscheinlich beim Baden. Betty hat das ihrem Chef Moreany übermittelt und als ihr eigenes Lektorat ausgegeben. Ich habe das bemerkt und war empört. Ich war wütend! Wie kann man die kreative Leistung eines anderen als die eigene ausgeben?! Aber meine Frau hat nur gelacht und gemeint: Lass sie doch. Jeder lebt, so gut er kann, jeder Mensch ist für irgendwas gut. So war sie. In allen Menschen sah Martha nur das Gute.« Henry schaute wieder auf die Fotos seiner verwesten Frau an der Tafel. »Jetzt glaube ich, dass es ein Fehler war.«
    Â»Sie gaben an, Ihr Roman sei verschwunden. Jetzt ist er wieder aufgetaucht.«
    Â»Der Roman war fertig, der Termin für die Veröffentlichung stand fest. Nachdem meine Frau verschwunden war, habe ich Betty das Originalmanuskript gegeben. Sie sollte es Moreany bringen. Sie hat es nicht getan. Das Manuskript muss mit ihr im Wagen verbrannt sein. Weiß man schon, was mit ihr passiert ist?« Ihr werdet sie niemals finden, und ihr wisst es, dachte Henry. Nicht einmal er wusste, wo Obradin sie versenkt hatte.
    Jenssen schließlich fand die passende Frage zu der großen Menge von Antworten, die überall herumlagen: »Und wie fanden Sie ihn wieder, den Roman?«
    Â»Ich hab ihn nicht
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