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Die Wahrheit und andere Lügen

Die Wahrheit und andere Lügen

Titel: Die Wahrheit und andere Lügen
Autoren: Sascha Arango
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…«
    Henry deutete auf die Reste einer Holzwand. »Das hier war Marthas Zimmer. Hier war er zuerst. Dann ist er langsam weiter durch das ganze Dach nach hinten gekrochen, bis … komm, ich zeig dir, wo er sich jetzt versteckt.«
    Sonja zog ihre Hand zurück. » Wer ist da versteckt?«
    Â»Der Marder. Er ist immer noch da, aber ich kriege ihn. Ich werde ihn häuten und grillen und essen und dann in ein Loch scheißen.«
    Sonja machte zwei Schritte rückwärts zum Treppenabsatz. »Ein Marder? Du machst das ganze Haus kaputt wegen eines Marders?«
    Â»Schscht!« Henry hob die Hand und lauschte.
    Â»Ich höre nichts«, flüsterte sie. Sie sah seinen seltsam verschobenen Blick, die ausgestreckte Hand. Der Wind bewegte eine raschelnde Plastikplane.
    Â»Das ist der Wind, Henry.«
    Henry nickte. »Er hat aufgehört. Er weiß, dass wir hier sind.«
    Â»Lass uns wieder runtergehen, ja?« Henry sah sie eine Weile schweigend an. »Ich weiß, was du denkst. Manchmal denke ich auch, dass er nicht existiert, sonst hätte ich ihn längst gefangen.« Er rollte seinen Hemdsärmel hoch und zeigte ihr die Bisswunde am Handgelenk. »Ich hatte ihn fast. Er hat mich gebissen.«
    Henry schob mit der Schuhspitze eine zersägte Latte beiseite. Ein kleiner, rotbrauner Kothaufen mit feinen Haarbüscheln lag dort. Henry hockte sich hin »Das ist Marderscheiße. Riechst du das, Sonja? Sag mir, dass das eine Einbildung ist.«
    Sonja sah seinen Unterkiefer malmen. »Du brauchst Hilfe,« flüsterte sie, »du kannst das allein nicht bewältigen. Niemand kann das. Komm, lass uns wieder runtergehen.«
    Â»Hast du Angst vor mir?«
    Sie drehte sich um und ging die Stufen hinunter. Er blieb oben stehen und schaute ihr nach. Sonja streifte den Bademantel ab und begann sich hastig anzuziehen. Als sie aus dem Bad kam, zog Henry die Kommode wieder vor den Treppenansatz. Sie wollte ihm helfen, wollte ihn retten, aber er ging wortlos in die Küche, um den Rest des Fasans auszubeinen.
    * * *
    Das Telefon weckte Henry aus dem Nachmittagsschlaf. Es war Fasch, der Henry von seinem Krankenbett aus anrief. »Ein Herr Jenssen von der Kriminalpolizei war hier. Er hat mich nach Ihnen ausgefragt … hallo? Sind Sie noch da?«, fragte Fasch nun, verunsichert, weil er kein bestätigendes »hmhm« von Henry hörte.
    Â»Ja, ich bin noch da«, erwiderte Henry.
    Â»Dieser Kriminalbeamte ist von der Mordkommission«, fuhr Fasch fort, »er wollte wissen, ob Sie rein zufällig bei dem Unfall dabei waren, und warum wir uns kennen. Ich fürchte, Sie sind in Schwierigkeiten.«
    Â»Sie wissen, dass ich Ihnen gefolgt bin«, setzte Fasch das Gespräch fort, nachdem Henry sich an sein Bett gesetzt hatte. Die Vorhänge des Krankenzimmers waren zugezogen, auf dem Nachttisch neben dem Bett türmten sich Bücher und Zeitschriften. »Sie haben hinter der Kurve auf mich gewartet, nicht wahr?«
    Henrys Gesicht blieb ausdruckslos freundlich. »Warum haben Sie nicht gebremst?«, entgegnete er.
    Fasch lachte unsicher. »Das haben Sie mich schon mal gefragt. Ich weiß es nicht. Vielleicht, weil alles einmal zu Ende gehen muss. Wie dem auch sei, wir sind uns früher schon einmal begegnet, Sie werden sich nicht daran erinnern.« Fasch bemerkte, dass sein Gegenüber das Gewicht verlagerte und ein Bein über das andere schlug.
    Â»Sankt Renata«, sagte Henry leise, »du hattest das obere Bett.«
    Fasch kniff gerührt die Augen zusammen. »Nur bis du kamst, Henry. Aber lass uns jetzt nicht von dieser dunklen Zeit reden.« Er griff nach dem ausgeschnittenen Porträtfoto aus Country Living. »Ich weiß, du hast deine Frau verloren.« Henry nickte. »Das tut mir leid. Das muss schwer für dich sein. Sie sah sehr nett und klug aus. Eurem Hund geht’s gut?«
    Henry betrachtete das Porträt, sagte nichts zu dem gezeichneten Kreis um seinen Kopf, legte das Papier wieder aufs Bett zurück. »Poncho. Dem geht’s bestens.«
    Fasch tastete nach dem Schalter, um das Kopfteil seines elektrifizierten Bettes ein wenig hochzufahren. »Ich weiß nicht, wie ich dir jemals für dieses Zimmer danken kann und für alles, was du für mich getan hast.« Henry wollte etwas entgegnen, doch Gisbert winkte ab. »Da ist kürzlich eine Frau umgebracht worden, die deine Romane lektoriert, erzählt mir dieser
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