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Die Wahrheit stirbt zuletzt

Die Wahrheit stirbt zuletzt

Titel: Die Wahrheit stirbt zuletzt
Autoren: Leif Davidsen
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war omnipräsent, und in der Stadt wimmelte es von mageren Kindern mit aufgeblähten Bäuchen. Die Leute schliefen, wo immer sie einen Schlafplatz fanden, und aßen Gras und Wurzeln, um zu überleben. Überall herrschte Furcht. Francos siegreiche Truppen hatten unter dem Deckmantel des Krieges in einem wahren Blutrausch Tausende von Menschen hingerichtet. Obwohl der Hafen wieder genutzt wurde, war Cartagena eine Geisterstadt. Die Bevölkerung schien sich noch immer im Zustand eines Granatenschocks zu befinden.
    Ich fühlte mich in Spanien nicht wohl. Ich konnte die gleichgültigen Sieger und ihre Brutalität und die Rückkehr der schwarzen Priester nicht ertragen. Sie gingen erneut Hand in Hand mit den Gutsbesitzern und dem Bürgertum und forderten die Sünder auf, ihr Haupt vor Gott und der Obrigkeit zu neigen. Cartagena erinnerte mich an die vielen sinnlosen Opfer und daran, dass es einmal Menschen gegeben hatte, die an mehr als nur ans Geld und den Augenblick geglaubt hatten.
    Aber wir fanden die Kisten wieder.
    Nachdem ich die Hafenpolizei, die ebenso habgierigen gewöhnlichen Polizeibeamten und die Zivilgardisten bestochen hatte, damit sie sich von uns fernhielten, fand ichin der Dunkelheit der Nacht den Eingang hinter dem Altar wieder. In der ersten Nacht gruben wir uns bis zum Eingang der Krypta vor. In der nächsten Nacht gelangten wir zu den römischen Ruinen hinunter. Die Kisten standen noch genauso da, wie ich sie knapp zehn Jahre zuvor zurückgelassen hatte. Sie waren mit einer dünnen Staubschicht bedeckt, aber von Menschenhand unberührt. Eine Ratte huschte in ihr Loch. Eine ihrer Vorfahren hatte mir das Leben gerettet, daher ließ ich sie von freundlichen Gedanken begleitet davonkommen.
    Ich schaute bewusst nicht in den Brunnen hinunter.
    Wir schafften die beiden Kisten hinaus und fuhren mit dem Schiff davon. Ich werde hier nicht darauf eingehen, wie ich das Gold und die Inkaschätze zu Geld gemacht habe, denn das könnte meinen Nachkommen bei ihren geschäftlichen Unternehmungen schaden. Keenan hatte mir jedenfalls eine gute Ausbildung in illegalen Aktivitäten zuteilwerden lassen. Es gab genügend habgierige Menschen, die gerne dafür bezahlten, Zugang zu materiellen Werten zu erhalten, die überall auf der Welt gültig waren. Die Nationalsozialisten verloren den Krieg, aber deswegen gingen sie noch lange nicht alle ohne Geld aus dem Krieg hervor. Das spanische Gold legte den Grundstein für meine Unternehmerkarriere und schickte Meyer Industries auf ihren globalen Siegeszug in den Bereichen Schifffahrt, Handel und internationale Produktion. Vielleicht hätte ich es auch ohne das Gold so weit gebracht, aber wohl kaum so schnell.
    Wir schaufelten den Eingang zu den Ruinen wieder zu. Die Kirche lag danach viele Jahre lang verlassen da. Die römischen Ruinen wurden erst 1987 entdeckt, als man mit der Restaurierung der Santa Maria begann.
    Ich las in der spanischen Tageszeitung El País darüber, die ich abonniert hatte. Der Journalist ging vor allem auf das sensationelle römische Amphitheater ein, das tausendJahre lang verschüttet gewesen war, aber er berichtete auch, dass man bei den Ausgrabungen in einem alten römischen Brunnen auf die Skelette dreier Männer gestoßen sei. Sie seien von Gerichtsmedizinern untersucht worden, die festgestellt hätten, dass die drei Toten aus der Zeit des Bürgerkriegs stammen müssten und es sich also nicht um ein Verbrechen jüngeren Datums handle, auch wenn sie mit zwei verschiedenen Waffen erschossen worden seien. Eine der Waffen hätte man ebenfalls in dem Brunnen gefunden.
    Die Leichen konnten nicht identifiziert werden. Das spielte aber keine Rolle. Zehn Jahre nach Einführung der Demokratie war Spanien erst allmählich dabei, sich mit den Schrecken des Bürgerkrieges auseinanderzusetzen und mit der erforderlichen Aufarbeitung der eigenen Geschichte zu beginnen. Massengräber wurden gefunden und wieder zugeschüttet. Die drei Skelette aus dem Brunnen wurden auf dem Friedhof von Cartagena unter einem weißen Kreuz bestattet. Auf dem glatt polierten Stein steht: Unbekannte Opfer des Kriegsirrsinns. Möge Gott ihren Seelen gnädig sein. Ich weiß das, weil ich vor einigen Jahren einen Blumenstrauß auf ihr Grab gelegt und Joe einen letzten Gruß geschickt und ihn um Verständnis gebeten habe, während ich ein Glas Whisky auf die trockene, steinige Erde gegossen habe.
    Auf meine alten Tage bin ich wirklich ein sentimentaler Narr geworden.
    Ich habe viel Geld und
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