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Die Wahrheit stirbt zuletzt

Die Wahrheit stirbt zuletzt

Titel: Die Wahrheit stirbt zuletzt
Autoren: Leif Davidsen
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Menschen.
    Viele Menschen haben sich an diesem schönen dänischen Junitag versammelt, um meinen Geburtstag zu feiern. Sie wollen den Dinosaurier noch einmal sehen, bevor es zu spät ist. Sie schnattern aufgeregt wie die Gänse darüber, dass Ihre Majestät mir persönlich geschrieben hat, und sie ahnen nicht, dass ich, wenn dieser Tag zu Ende geht, nicht mehr unter ihnen sein werde. Ich denke sehnsüchtig an den Revolver, der in meiner Schreibtischschublade liegt. Er wartet auf mich. Er hat schon seit Albacete und Cartagena auf mich gewartet, wo er mich auf meiner Reise durchs Verderben und zu Wohlstand begleitet hat.
    Er war treu und zuverlässig. Er hat immer funktioniert. Ich habe ihn aus Argentinien mitgebracht, und ich habe ihn auch in Spanien und im eisig kalten Moskau dabeigehabt. Ein Smith & Wesson Trommelrevolver aus demJahr 1908. Einen besseren hat es nie wieder gegeben. Es ist nur recht und billig, dass der Revolver, den ich benutzt habe, um Landesverräter zu liquidieren, auch meinem Leben ein Ende setzt.
    Ich nicke und schaue mich um und weiß, was sie denken. Sie überlegen, was ich in meinem Testament verfügt habe, denn sie wissen, dass meine Tage gezählt sind. Aber sie brauchen sich keine Gedanken zu machen. Ich sorge für sie alle. Meyer Industries ist ein stabiles, weltweites Unternehmen. Finanzkrisen können kommen und gehen. Ich habe mein Unternehmen nach der altmodischen Devise geführt, dass am Ende des Tages immer eine Krone mehr in der Kasse sein sollte als am Morgen. Von Spekulationen habe ich immer die Finger gelassen, und ich habe mich auch nie von den leichtfüßigen Sirenen der Gier verführen lassen. Ich bin nie den Versprechungen schmeichlerischer Bankdirektoren erlegen, die mich mit günstigen Krediten und verführerischen Kapitalfonds locken wollten.
    Trotzdem bin ich ein Lügner. Im Angesicht des Todes will ich der Wahrheit Genüge tun.
    Ich hinterlasse eine gut gehende dänische Firma mit dem Ruf, wohltätig zu sein, Einwanderer in Dänemark zu beschäftigen und den Mitarbeitern der ausländischen Niederlassungen auf allen Ebenen anständige Arbeitsbedingungen zu bieten. Ich habe den »Mads Meyer Fonds« gegründet, der sich kulturell engagiert, ich habe die schönen städtischen Plätze bezahlt, wenn der öffentlichen Hand das Geld fehlte, und ich habe Tausenden begabter junger Dänen einen Auslandsaufenthalt ermöglicht und einen Wunschausbildungsplatz verschafft. Neue kulturelle Einrichtungen tragen den Namen Meyer, und die Ausbildung an einigen der besten Konservatorien der Welt wird durch Stipendien des »Mads Meyer Fonds« ermöglicht. Ich bin ein Menschenfreund gewesen, und mein Revers quillt über von den Verdienstorden dankbarer Länder.
    Man könnte meine Wohltätigkeit für eine Art Ablass halten, allerdings für einen, der den Menschen Freude gemacht hat, der mir aber vermutlich nicht Zutritt zum Paradies verschaffen wird.
    Ich werde viel Geld hinterlassen.
    Wenn ich nachher gezwungen sein werde, einige Worte mit meiner noch immer festen Baritonstimme zu sprechen, die nur ganz leicht zittert von der Beanspruchung über die vielen Jahre, werde ich mich mit einem Hauch von Sarkasmus an die Banalitäten halten und die Torheiten der Gegenwart aufs Korn nehmen, denn dafür bin ich berühmt, wenn nicht gar berüchtigt.
    Die andere Geschichte werden sie lesen können, wenn Henry, mein Anwalt, meinen Nachlass freigibt. Ich habe die letzten Jahre meines Lebens darauf verwendet, meine Geschichte zu erzählen. Sie liegt, auf eine CD-ROM gebrannt, in einem geheimen Bankschließfach. Außerdem habe ich sie in den Cyberspace hinausgeschickt und sie auf einer verschlüsselten Domain abgelegt, die nur Henry kennt.
    Meine Hinterbliebenen werden die Geschichte nicht ausradieren können, auch wenn sie es bestimmt versuchen werden. Selbst Henry weiß nicht, dass ich eines meiner begabtesten Enkelkinder, den kleinen Karl, der mir so sehr ähnelt, dass ich mich in ihm spiegeln kann, darum gebeten habe, meine Datei so zu programmieren, dass sie in genau neunzig Tagen an einen großen Verlag und zwei Zeitungen verschickt wird.
    Ich erinnere mich an fast alles. Zumindest an all das, was es wert ist, erinnert zu werden. Ich sitze hier in meinem Rollstuhl und betrachte die Gartengesellschaft und antworte den Menschen höflich, die mit einem Lächeln auf den Lippen und erhobener Stimme kommen, um mir zu gratulieren, aber ich bin nicht anwesend.
    Ich bin aus Dänemark abgehauen, musste aber
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