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Die Wahrheit stirbt zuletzt

Die Wahrheit stirbt zuletzt

Titel: Die Wahrheit stirbt zuletzt
Autoren: Leif Davidsen
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davonschwebenden Rauch der kubanischen Morgenzigarre vermischt, und er bemerkt mit Freude die Blicke, die die Frauen ihm zuwerfen, denen er unterwegs begegnet.
    Hier kommt ein junger Mann von Welt, ein Reisender, ein Mensch, mit dem das Leben es gut meint, ein Mann ohne Sorgen in einer Zeit, in der alle sich Sorgen machen. Hier kommt ein Mann, der in die Kleinstadt zurückkehrt, klüger, reicher und selbstsicherer als die, die zurückgeblieben sind und nun ein bürgerliches Leben mit Ehefrau und Kindern führen oder in den langen Arbeitslosenschlangen stehen und warten. Ob ihn irgendwer wiedererkennt? Er bezweifelt es. Seine Physiognomie kann er natürlich nicht leugnen – die ist auch gar nicht so übel, wie ihm schon diverse Frauen bestätigt haben –, aber sein Körper ist heute kräftiger und besser in Form, der schmale helle Schnurbart verleiht seinem Gesicht Charakter, aber es ist vor allem die Art, wie er sich gibt, wie er steht, wie er sich bewegt, die ihm eine andere, selbstsicherere Ausstrahlung verleiht.
    Das hat er von Inés gelernt. »Du bist nicht der, der du bist, du bist der, der zu sein du dich entscheidest«, hatte sie gesagt, und er erinnert sich an ihre zarten kleinen Brüste und den weichen Mund, der ihn küsste. Er hätte nie gedacht, dass Sex so ungezwungen sein konnte. Ohne Schuldgefühle, der reine Genuss. Stunden gemeinsamer Befriedigung und des Vergnügens aneinander.
    An all das denkt er, während er im Sonnenschein spazierengeht. An die Last, die die Menschen in seiner Heimatstadt zu tragen haben. An ihr ewiges Kreisen um Schuld und Sühne. Daran, dass die Scham geradezu aus den kleinen Häuschen herauswabert. Sie wissen nicht, denkt er, dass der eigene Körper für so viel Freude und Wonne geschaffen ist.
    »Jetzt bewegst du dich endlich genauso gut und selbstsicher und macho, wie du aussiehst«, hatte Inés einige Tage, nachdem sie ihn verführt hatte, zu ihm gesagt. »Deine Seele ist nicht länger in einem Gefängnis eingesperrt, sondern sie hat jetzt ihren Platz in deinem Körper gefunden.«
    Er erinnert sich daran, wie seine Füße die Erde plötzlich auf ganz neue Weise berührten und wie die Töne in seinem Kopf ihm das Gefühl gaben zu fliegen, und nachts hatte er aufgehört, vom Chefarzt zu träumen.
    Der junge Mann, der am Tag zuvor im Hotel Dania seinen Koffer aufs Zimmer getragen hat, heißt Jens und ist der Sohn von Schuhmacher-Hans, daran erinnert er sich. Er war zwei Klassen unter ihm. Es hatte nicht das geringste Anzeichen eines Wiedererkennens gegeben. Dass sie einmal auf demselben Schulhof in derselben Stadt gespielt haben sollen, erscheint ihm vollkommen unvorstellbar.
    Er hat niemandem Bescheid gesagt, dass er zurückkommen wird. Er weigert sich, die Worte »nach Hause« zu benutzen. Er ist eigentlich nicht bereit, seinem Vater zu begegnen, auch wenn es sich wohl kaum vermeiden lässt.
    Marie hatte ihm geschrieben, und mit ihr will er zuerst sprechen. Ihr Brief hatte ihn in New York erreicht. Sie wusste natürlich, dass er aus Argentinien weggezogen war. Geflohen wäre wohl das treffendere Wort. Marie ist die Einzige, der er seine wechselnden Adressen mitgeteilt hat, mit der strengen Auflage, sie nicht an den Chefarzt weiterzugeben.
    Er hatte Argentinien verlassen müssen. Don Pedros Arme waren zu lang gewesen. Meyer wollte nicht heiraten. Dolores hätte nicht mit ihrem Bruder sprechen und dieser hätte ihn niemals aufsuchen dürfen. Er hatte nicht anders handeln können, denn es hatte er oder der Bruder geheißen. Don Pedro hätte seinen Sohn nicht schicken sollen, er und Magnus hätten eine Lösung finden können. Sie respektierten einander. Der Bruder hasste ihn, obwohl sie ursprünglich beste Freunde gewesen waren. Aber dann war Neid ins Spiel gekommen. Dem Bruder gefiel es nicht, dass Don Pedro nur mühsam verbergen konnte, dass er lieber Magnus als Sohn und Erben gehabt hätte als den trägen Sohn, den seine Frau ihm geboren hatte.
    Beim Gedanken daran fängt Magnus beinahe an zu schwitzen, obwohl der dänische Sonnenschein mild und trocken ist. Er sieht das Blut vor seinem inneren Auge und den erstaunten Blick von Dolores’ Bruder, als die Kugel mit einem dumpfen Knall seine Brust trifft. Danach hatten Don Pedro und Meyer keine Wahl mehr.
    Er schwitzt doch nicht. Er ist Wärme gewöhnt. Es ist zwar ein sonniger Tag, aber er genießt die darunter liegende Kühle, die von den Wolken mit einer ersten Ahnung von Herbst herrührt, die ihn am See entlang zur
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