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Die Wahrheit stirbt zuletzt

Die Wahrheit stirbt zuletzt

Titel: Die Wahrheit stirbt zuletzt
Autoren: Leif Davidsen
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ärmsten Menschen zu herrschen scheint. Es ist doch etwas dran an dem alten Lied. Er summt »Hier, wo der Weg einen Bogen schlägt«, was der Chauffeur, der einer der wenigen seines Metiers zu sein scheint, der kein Gespräch anfangen will, mit einem Lächeln quittiert.
    Zum ersten Mal empfindet Magnus eine unmittelbare Freude, wieder zu Hause zu sein. Zu Hause? Ist Dänemark wirklich sein Zuhause? Dieses kleine, geizige Bauernland, in dem der Ministerpräsident aussieht wie der Weihnachtsmann, was vielleicht durchaus passend ist, weil das Land die weltweite Krise auf eine erstaunlich gemütliche Weise meistert. Man macht es sich im Verborgenen gemütlich. Jeder kümmert sich um seine eigenen Angelegenheiten, und es scheint, als existiere die Welt da draußen nicht. Man wird die Krise schon irgendwie bewältigen. Das hat man immer getan. Es gibt keinen Grund zur Klage. Es liegt ohnehin alles in Gottes Hand, und man ist nicht auf der Welt, um sich zu beklagen.
    Da unten im Süden tobt der Krieg. Ein ferner Bruderkrieg, der ihn nach Hause zurückgerufen hat, weil er in seiner eigenen Familie Wirklichkeit geworden ist. Es geht um das Herz der Familie, um den Herzschlag selbst. Die Zeit steht für einen Augenblick still. Es ist, als würde er für einen Moment wieder zum Kind und hörte seine Mutter zum Abendessen rufen. Dieser Erinnerungsfetzen taucht in ihm auf, als er eine Frau, die ein langes Kleid und ein geblümtes Kopftuch trägt, die Hand heben und ein kleines Mädchen rufen sieht. Das Lächeln des Mädchens ist groß und strahlend, aber dann verschwindet es aus seinem Blickfeld, als das Auto um die nächste Kurve fährt.
    Es hätte seine Mutter sein können, die da gerufen hat. Und das kleine Mädchen hätte Marie sein können mit ihrem hübschen Lächeln und ihrem Vertrauen in die ganze Welt. Die Erinnerung ist so stark, dass er für einen Moment nicht weiß, ob er wach ist oder träumt. Er nimmt seinen Hut ab, wischt sich über die Stirn und begreift nicht, wo diese plötzliche Angst herkommt.
    Der Chauffeur setzt ihn ein Stück von der Badestelle entfernt ab und nimmt sich eine Zeitung, als Magnus ihn bittet, dort auf ihn zu warten, ehe er den kleinen Hügel hinaufgeht.
    Bei dem schönen Wetter sind viele Menschen unterwegs. Ihre schwarzen Fahrräder stehen aufgereiht da wie Soldaten. Einen Moment lang bleibt er stehen, überrascht von dem Anblick, der sich ihm auf den Hügeln zwischen dem Gudenå und der Quelle des Skjernå darbietet. Er blickt auf ungefähr dreihundert Menschen hinunter, die sich an den fünf Badebecken in der grünen, hügeligen Landschaft tummeln.
    Bei einem Mann in einem kleinen Pavillon, der Kaffee und Eis anbietet, muss er eine Krone bezahlen, bevor er die Treppe zur Badestelle hinuntergehen darf. Neben demBadebecken hat man eine einfache Rutschbahn aus abgehobelten Kiefernholzbrettern errichtet, auf der die Kinder auf gewaschenen Düngersäcken hinuntersausen, die aufgestapelt am Fuße der Rutsche liegen, und vor Vergnügen kreischen. Magnus bleibt einen Augenblick auf der Treppe stehen und betrachtet die Szenerie.
    Es gibt vier runde Becken und ein viereckiges, an dem ein Sprungbrett angebracht ist. Er sieht, wie junge Männer, offensichtlich Knechte, in großen, flatternden Badehosen versuchen, den Mädchen mit allerlei Faxen und Sprüngen zu imponieren, die das Wasser über den Beckenrand schwappen lassen. Ihre weißen Oberkörper leuchten grell in der Sonne und stehen in Kontrast zu ihren braunen Armen, die während der Feldarbeit der Sonne ausgesetzt sind. Mütter und Kinder vergnügen sich in einem kleineren Becken, in dem sie herumplantschen. Die Patienten des Chefarztes scheinen sich im eigentlichen Schwimmbecken aufzuhalten.
    Magnus muss an die Bewässerungsanlage auf Don Pedros Rinderfarm denken. Es scheint sich hier um dasselbe Prinzip zu handeln. Das Wasser aus der Quelle des Gudenå wird mithilfe eines Hebesystems in ein oder zwei Becken auf dem Hügel hinaufgepumpt. Dort wird es von der Sonne erwärmt, bevor es in die Badebecken eingespeist wird. Ein einfaches, aber wirkungsvolles System, das Magnus fasziniert. Er hat zwar keine reguläre Ausbildung genossen, aber das Ingenieurwesen interessiert ihn sehr. Er weiß, dass er ein Talent hat, technische Probleme zu durchdringen und andere, überraschende Lösungen zu finden. Dieses Talent hat er in Argentinien entdeckt, wo man nicht nach der Ausbildung fragt, sondern danach geht, was ein junger Mann kann.
    Der Wasserdruck
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