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Die Wahrheit des Alligators

Die Wahrheit des Alligators

Titel: Die Wahrheit des Alligators
Autoren: Massimo Carlotto
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ihn unter der Dusche zu erstechen, mit der Verwundung seiner beiden Angreifer geendet war, nahm Benj amino Kontakt zu mir auf und bat mich, die Camorristen wissen zu lassen, daß sie von ihm nichts zu befürchten hätten und daß er nicht die geringste Absicht hätte, für den Rest seines Lebens auf der Hut zu sein. Was mit anderen Worten hieß: Die Neapolitaner sollten gefälligst seinem Wort vertrauen, oder es würde ein gnadenloser Krieg ausbrechen. Mit der gebotenen Vorsicht hatte ich zum Chef der Cutolianer Kontakt aufgenommen, und am Ende eines langen Mittagessens, nachdem er genüßlich zwei Babà verspeist hatte, sagte er mir, der gute Ruf des Mailänders und mein Auftreten als Garant wären ausreichend, um den »Zwischenfall« als abgeschlossen betrachten zu können.
    Nach seiner letzten Inhaftierung – fünf Jahre wegen Ausräumen eines Juwelierladens im Comaskischen – hatte er Mailand verlassen, »weil es da mittlerweile von Drogenhändlern und anderem Gesocks wimmelt«. Auf meinen Rat hin hatte er sich in einen kleinen Ort an der venezianischen Küste zurückgezogen, Punta Sabbioni, wo er sich durch Schmuggel mit dem nahegelegenen Dalmatien bereicherte. Ein bißchen verrückt als Typ, teilweise unverständlich, aber echt hartgesotten. Ich rief ihn jedesmal zu Hilfe, wenn ich in besonders schwierigen Situationen steckte. Er sagte nie nein. Aus Freundschaft, aber nicht nur. Für einen, der auf der Straße groß geworden ist und all ihre Geheimnisse kennt, ging es sozusagen um die Lust, noch einmal die starken Emotionen von einst auszukosten. Anscheinend war es eben doch nicht besonders aufregend, ein Motorboot zwischen zwei Küsten hin- und herzufahren.

    Es dämmerte, und die Autobahn war leer. Ich hatte es langsam satt, immer nur an Magagnin und seine Scherereien zu denken. Um wach zu bleiben und den Kopf frei zu halten, schob ich eine Kassette ins Autoradio und drehte auf volle Lautstärke. Ich war am Ziel, noch bevor ich Hear my blues von Al Smith zu Ende gehört hatte.

    Benjamino wohnte in einem Häuschen direkt am Meer. Es öffnete mir ein ausländisches Mädchen um die zwanzig, sie führte mich in die Küche, wo mein Freund saß und Kaffee trank.
    »Ciao, Marco«, er war einer der wenigen, die mich mit meinem richtigen Namen anredeten. »Magst du Kaffee?«
    »So früh schon auf den Beinen?«
    »Eigentlich muß ich erst noch schlafen gehen.«
    »Woher kommt sie?« fragte ich, ich meinte das Mädchen, das inzwischen aus dem Zimmer gegangen war.
    »Kroatien. Sie will in einem Nachtclub Tänzerin werden. Aber unter uns gesagt, es ist das Übliche, sie wird hier Hure werden. Das haben die daheim in ihrem Dorf alles ausgeheckt, und ich hatte den Auftrag, sie hierher zu bringen. Aber du, vielmehr«, er stützte den Unterarm auf den Tisch und beugte sich zu mir herüber, »sag mir, aus welchen Scherereien Onkel Benjamino dir diesmal heraushelfen soll.«
    Ich sah ihn an. Er wurde kahl, und ich wette, daß dieser Schnurrbart à la Xavier Cugat, einem südamerikanischen Sänger der fünfziger Jahre, gefärbt war. Aber diese sonnenverbrannte, gegerbte Haut sprühte vor Energie und Vitalität wie die eines Zwanzigjährigen.
    Ich erzählte ihm alles, und sein einziger Kommentar war: »Warte, ich hole die Ausrüstung.«
    »Benjamino!« hielt ich ihn zurück, während er die Falltür zum Speicher öffnen wollte. »Das kleine Set. Es geht hier nicht um Krieg.«
    Wir nahmen seinen Wagen. Er war groß und auffällig, jeder hätte sich denken können, daß Gangster darin sitzen, aber wir nahmen ihn trotzdem, denn er war mit einem Versteck ausgestattet, in dem wir unsere »Teile« verstauen konnten. Kein Polizist würde sie je entdecken. Denn über eines waren Benjamino und ich uns hundertprozentig einig: Wieder ins Gefängnis zu gehen, bloß weil wir einen wie Magagnin gesucht hatten, das wäre uns beiden zu viel gewesen.
    Unter den Lauben an der Via Savonarola, ein paar Meter vor Baldans Haustür entfernt, berührte mein Freund mich kurz am Arm: »Spielen wir ›der Gute und der Böse‹?«
    »Klar, das zieht immer.«
    Ich drückte mehrmals auf die Klingel, mit polizeilichem Nachdruck. Eine verschlafene Stimme krächzte in die Sprechanlage: »Wer zum Teufel bist du?«
    Benjamino sah mich an. »Sag du es ihm, ich bring das nicht fertig.«
    »Polizei. Mach auf, Baldan!« Das Schloß der Haustür sprang sofort auf, wir gingen hinein und liefen die Treppen hinauf. Auf dem Treppenabsatz erwartete uns ein überraschter
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