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Die Wahrheit des Alligators

Die Wahrheit des Alligators

Titel: Die Wahrheit des Alligators
Autoren: Massimo Carlotto
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anfängt, auf unser Interesse für Magagnin aufmerksam zu werden.«
    »Mach dir keine Sorgen«, antwortete er ruhig. »Der verbarrikadiert sich zu Hause. Wenn er sich in dem Zustand blicken läßt, dann fühlen sich alle Junkies berechtigt, ihn auszurauben.«
    »Jedenfalls hast du übertrieben.«
    »Und die Erinnerung an meine Tochter, die an Überdosis gestorben ist?«
    »Verdammt, Benjamino! Du hast weder eine Tochter gehabt, noch ist sie an einer Überdosis Heroin gestorben.«
    »Na ja, ich habe mich eben zu sehr in die Rolle hineingesteigert.«
    Ich sah ihn an. Er grinste befriedigt. Ich mußte lachen. »Du bist verrückt.«

    Magagnin hielt sich in einem Haus in der Umgebung von Abano Terme versteckt. Die Angaben, die uns der Dealer gemacht hatte, waren so präzise, daß wir es auf Anhieb fanden. Ein altes Bauernhaus inmitten von Feldern, und ziemlich kitschig renoviert.
    »Weißt du, Marco, wenn ich mir ein Haus auf dem Land herrichten sollte, dann würde ich nicht gerade Schneewittchen und die sieben Zwerge davor aufstellen, noch dazu in Zement. Das paßt einfach nicht.«
    »Bitte, erzähl mir jetzt bloß nicht, was du da aufstellen würdest«, ermahnte ich ihn, während ich über den Zaun sprang. Wir näherten uns von hinten dem Haus. Die Glastür zur Küche hatte ein eher loses Schloß, das unter dem erfahrenen Druck von Benjaminos Klappmesser sofort willig nachgab. Wir fanden Magagnin im Wohnzimmer bequem auf einem Sofa ausgestreckt, er sah sich eine Quizsendung an. Er knabberte Schokoladenkekse und trank Fruchtsaft.
    Wir standen hinter ihm. Er hatte uns weder gesehen noch gehört. Benjamino flüsterte: »Zucker.«
    »Was?«
    »Zucker, Junkies brauchen ständig welchen.«
    »Erscheint dir das der geeignete Moment, mir einen Vortrag über die Stoffwechselveränderungen bei Drogengenuß zu halten?« gab ich ärgerlich zurück.
    Ich berührte den Mann an der Schulter, und er wandte sich mit nervtötender Langsamkeit um. Dann sah er mich mit völlig abwesendem Blick an.
    »Ganz ruhig, wir sind keine Bullen. Deine Anwältin schickt mich. Sie will mir dir reden, am besten bevor man dir wieder Handschellen anlegt.«
    Keine Reaktion. Der war völlig zu und so weit von der Realität entfernt wie ein unerforschter Planet von der Erde. Er hob die Schultern und sah mich weiterhin aus wässrig-blauen, leeren Augen an.
    Benjamino kam näher und gab mir zu verstehen, ich sollte mich beiseite machen. Dann setzte er sich neben ihn und legte ihm einen Arm um die Schultern. »Laß mich nur machen, Marco. Schau du dich im Haus um, ich bring ihn dir in der Zwischenzeit wieder auf Vordermann.«
    Daran zweifelte ich nicht. Im Gefängnis war ihm das auch immer wieder gelungen, allerdings weiß ich nicht, wie. Jedenfalls wäre ich jede Wette eingegangen, daß Magagnin im Laufe einer halben Stunde in der Lage sein würde, in zusammenhängenden Sätzen zu reden.

    In der Küche bemerkte ich ein kleines Schiffsmodell und ein abscheuliches Ölgemälde, das ein galoppierendes Pferd darstellte. Der Bilderrahmen und das kleine Modell bestanden aus unzähligen abgebrannten und zusammengeklebten Streichhölzern. Billiges Material für die typische Geduldsarbeit, die einer verrichtet, der die Zeit totschlagen muß.
    Der Eigentümer des Hauses war also ebenfalls in den vaterländischen Zuchthäusern zu Gast gewesen. Freilich war das auch kaum anders zu erwarten, da Baldan seine ersten Freundschaften in der Jugenderziehungsanstalt geschlossen hatte. All das konnte nur eines bedeuten: Der Ort war nicht sicher für einen Flüchtigen.
    Das wunderte mich nicht. Sicherlich hatte der Dealer vor, wenn man ihn ungestört machen ließ, Magagnin alles Geld abzuknöpfen, das er bei sich hatte, um ihn dann der Polizei auf einem Silbertablett zu servieren. Alles in allem betrachtet, hatte der alte Rossini schon gut daran getan, ihm die Nase einzuschlagen.
    In einem Schlafzimmer im oberen Stock fand ich Magagnins Tasche. Ich durchsuchte sie: schmutzige Wäsche, ein Klarsichtbeutel mit Heroin und eine nette Summe Geld in einer Plastiktüte. Ungefähr sieben Millionen Lire. Ich rechnete: Das hier plus die acht, die er dem Dealer gegeben hatte, eine achtstellige Zahl in Bargeld, das war beträchtlich. Ein erkleckliches Sümmchen für einen, der praktisch immer auf dem Trockenen saß. Wie war er daran gekommen? Etwas sagte mir, daß das alles Geld der Belli war und daß der Grund für ihren Tod ganz einfach war: Er hatte sie umgebracht, weil sie es ihm nicht
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