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Die Wahrheit des Alligators

Die Wahrheit des Alligators

Titel: Die Wahrheit des Alligators
Autoren: Massimo Carlotto
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verloren, ich fühlte, daß mir die Knie zitterten, ich weiß nicht, wie ich die Kraft gefunden hab, mich vom Fleck zu rühren. Nach ’ner Weile fand ich mich auf der Straße wieder, den Kopf völlig leer, eine wahnsinnige Lust, mir einen Schuß zu setzen, um nicht mehr denken zu müssen. So bin ich zu Baldan gegangen. Den hatte mir Marietto Carrara vorgestellt. Ich habe ihm einen Bären aufgebunden. Daß ich es satt hatte und nicht in den Knast zurückwollte, daß nur er mir helfen könnte. Ich hab ihn gebeten, mir etwas Stoff zu verkaufen und mir einen Platz zu besorgen, wo ich mich verstecken konnte.«
    »So eine Geschichte habe ich ja noch nie gehört, mein Junge«, unterbrach ihn Rossini bedauernd. »Entschuldige, wenn ich dir das sage, aber meiner Meinung nach bist du reif fürs Zuchthaus. Das kauft dir doch keiner ab, weil. nun, weil das einfach nicht zusammenpaßt. Du bist ein miserabler Lügner. Oder hirngeschädigt. Sag mir viel eher, wo hast du die Millionen her, die du Baldan gegeben hast, und die, die du noch im Koffer hast?«
    »Das Geld? Ach ja, sicher. Aus Pieras Haus. Ich wußte, wo sie’s aufbewahrte. Ich wollte nicht stehlen, aber ich brauchte das Geld.«
    »Und du glaubst, vor Gericht kommst du mit dieser Geschichte durch?«
    »Rache und Diebstahl«, warf ich ein, zu Benjamino gewandt, »zwei Motive wie aus dem Lehrbuch. Und zur Entlastung haben wir denselben Tathergang wie 1976. Wir verlieren hier bloß Zeit, bringen wir ihn mit seinem Anwalt zusammen und befassen wir uns wieder mit ernsthafteren Dingen.«
    »Einen Moment. Laß ihn ausreden. Es ist alles so merkwürdig, und ich möchte klar sehen in dieser Geschichte.«
    »Hör zu, Magagnin, mein Freund hat recht. Wir haben nichts begriffen. Vielleicht fängst du besser noch mal ganz von vorne an. Ich will sagen, erzähl uns von ihr, von Piera Belli.«
    »Was willst du wissen?«
    »Na, ich weiß nicht … zum Beispiel, was für ein Typ sie war. Besser noch, wie kam es, daß ihr miteinander zu tun hattet?« Benjamino zündete eine Zigarette an und steckte sie ihm zwischen die Lippen. Mein Partner wußte, wie man mit Leuten umgeht.
    Der Mann inhalierte gierig einige Züge. »Wenige Tage nach dem Ende des Prozesses bekam ich im Gefängnis Briefe. Merkwürdige, anonyme Briefe voll …«
    »Briefe? Ich glaube, wir haben uns nicht verstanden. Was haben die Briefe damit zu tun, wir wollen Informationen über deine Freundin.«
    »Laß mich doch ausreden! Ich wußte nicht, wer sie schickte, aber ich war sicher, daß es sich um eine Frau handelte. Und diese Frau, wie ich später erfuhr, war sie.«
    »Mach weiter. Warum hast du gesagt, sie waren merkwürdig?« griff Benjamino ein.
    »Weil sie voller schmutziger Gedanken waren.«
    »Schmutzig? In welchem Sinn?«
    »Von der Art: ›Es würde mir gefallen, daß du mir wehtust‹ oder ›würdest du mich schlagen, wenn ich dich darum bitte? Stell dir vor, ich bin nackt unter meinem Talar ….‹ Plötzlich, so wie es angefangen hatte, brach das Spiel ab: lange Zeit keine Briefe mehr. Bis eine Paduaner Zeitung die Nachricht brachte, daß ich Freigänger war und also bald aus dem Knast kommen würde. Sie fing wieder an, mir zu schreiben, und jedesmal versicherte sie, daß sie in der Lage wäre, mir zu helfen und eine Wiederaufnahme des Verfahrens erreichen könnte. Dann schloß sie mit der Frage: ›Aber du, wie weit bist du bereit zu gehen, um die Wahrheit zu erfahren?‹ Ich fing an, in der Kooperative Sole zu arbeiten, und nach einiger Zeit bemerkte ich, daß auf dem Platz gegenüber dem Ausgang oft ein metallicfarbener Golf geparkt war. Eines Tages wechselte ich mit der Frau am Steuer einen Blick. Das war nur ein Moment, aber ich hatte sie auf der Stelle wiedererkannt: Die Gesichter der Geschworenen, die einen verurteilen, die vergißt man nicht. Da hab ich kapiert, daß die Briefe von ihr waren. Ich wußte aber nicht, wie ich Kontakt aufnehmen konnte. Das hat sie dann gemacht, ungefähr zehn Tage später. Wir sind in den Golf eingestiegen, und sie hat mich zu sich nach Hause mitgenommen. Sie hat mir gesagt, nach dem Prozeß hätte sie entdeckt, daß ich unschuldig war und daß sie mir helfen könnte. Aber dafür müßte ich bestimmte Dinge tun …«, er warf mir einen Blick zu, vielleicht, um unsere Reaktionen zu prüfen, aber unsere Gesichter waren undurchdringlich, »… sie sagte, die Atmosphäre beim Prozeß hätte ihr gefallen, hätte sie erregt. Und auch ich würde sie erregen. Kurzum, es gefiel ihr,
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