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Die Waechter von Marstrand

Die Waechter von Marstrand

Titel: Die Waechter von Marstrand
Autoren: Ann Rosman
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Mutters Perlmuttkämmen hochgesteckt, und Vater hatte die Halskette seiner verstorbenen Frau geholt und sie seiner Tochter schweigend um den Hals gelegt.
    Agnes warf einen verstohlenen Blick über den Tisch zu ihrem Zukünftigen. Bryngel Strömstierna. Er trug einen gut sitzenden schwarzen Frack und sah mit seiner aufrechten Haltung sehr stattlich aus. Seit der Begrüßung hatte er noch kein Wort zu ihr gesagt. Er wirkte abwesend. Sie stellte sich so viele Fragen – wer war zum Beispiel der Ansicht gewesen, sie beide könnten ein gutes Paar abgeben? Hatte Bryngel etwas dazu zu sagen gehabt, oder war die Sache auch über seinen Kopf hinweg entschiedenworden? War er mit der Wahl zufrieden? Sie hatte nie über ein sonderlich weibliches Aussehen verfügt. Ihre klaren Züge waren erstaunlich androgyn geblieben, obwohl sie die Pubertät hinter sich gelassen hatte und nun erwachsen war. Sie war es von Kindesbeinen an gewohnt, auf Bäume zu klettern, über Hügel zu rennen und über die Äcker zu reiten. Sie schwamm in der Bucht und ruderte oder segelte gemeinsam mit ihrem Bruder Nils. Im Laufe der Jahre hatte sie jedoch einige der Aktivitäten durch andere ersetzen müssen. Auf Bäume zu klettern, schicke sich nicht für eine junge Dame, erklärte ihr Vater an dem Tag, als der Stallknecht das Pferd mit dem silberbeschlagenen Damensattel sattelte.
    Nun saß sie jedenfalls da und überlegte, was Bryngel wohl dachte. Sie war zart und schlaksig wie ein Jüngling, und ihr winziger Busen war so gut es ging nach oben gepresst worden, damit er in dem Kleid zur Geltung kam. Agnes trank einen Schluck Wein und spürte, wie sich ihr Körper in dem eng geschnürten Korsett ein wenig entspannte. Die Farbe seiner Augen hatte sie noch nicht erkennen können, Wärme strahlten sie jedenfalls nicht aus. Der Mann zeigte kein Interesse. Weder an ihr, noch an allem, was um ihn herum vor sich ging.
    Zo als en zwakke tulpensteel.
    »Wie ein schlaffer Tulpenstiel«, hätte Großmutter gesagt, dachte Agnes und richtete ihren Blick stattdessen auf ihren zukünftigen Schwiegervater, der rotwangig mit seinem erhobenen Glas gestikulierte. Dann stellte er es neben den blau-weißen Fayenceteller und wandte sich an Agnes.
    »Wie ich gehört habe, kümmert sich das Fräulein um einen Großteil der Buchführung für die Trankocherei.«
    »Das ist richtig.«
    »Mit solchen Dingen brauchen Sie Ihr süßes kleines Köpfchen nicht mehr zu belasten, wenn Sie die Ehefraumeines Sohnes sind. Buchhaltung ist etwas für Männer. Außerdem haben wir eine ausgezeichnete Haushälterin. Wenn Sie erst Bryngels Frau sind, werden sie keine schweren Arbeiten schultern müssen.«
    »Aber ich …«
    »Agnes!«, fiel Vater ihr hastig ins Wort. Agnes senkte den Blick und fixierte das Webmuster der Damasttischdecke. So war es also geplant. Sie würde ihre Stellung verlieren und nur noch Ehefrau sein, die tat, was man ihr sagte. Natürlich war es keine gute Idee, seinem zukünftigen Schwiegervater schon von Anfang an zu widersprechen.
    Die mittlere Kerze im Silberleuchter war heruntergebrannt, Wachs tropfte schwer auf die Tischdecke. Als ob die Kerze Tränen vergießen würde. Das Dienstmädchen eilte herbei, um die Kerze zu löschen und durch eine neue auszutauschen.
    Vater räusperte sich.
    »Sie müssen ihr verzeihen, wir haben die Zügel vielleicht zu locker gelassen, aber die Großmutter des Mädchens bestand darauf, dass wir beiden Kindern gleichermaßen ermöglichten, Lesen, Schreiben und Rechnen zu lernen. Sie stammte aus Holland, und ich nehme an, dass man diese Dinge dort etwas anders sieht. Und Agnes ist wahrlich nicht auf den Kopf gefallen, sie spricht fließend Holländisch.«
    »Bildung von Frauenzimmern ist Verschwendung«, sagte ihr Schwiegervater und leerte sein Glas in einem Zug.
    »Der Platz einer Frau ist ihr Zuhause.« Vollkommen unerwartet hatte Bryngel den Mund geöffnet.
    »Selbstverständlich. Und als Ihre Ehefrau wird sie Gut Vese alle Ehre machen.«
    Lieve Oma. Großmutter, liebe gute Großmutter, dachte Agnes. Sie hatte immer ihren eigenen Kopf gehabt und war keineswegs eine Frau gewesen, die sich herumkommandierenließ. Großmutter war in ihrem Heimatland Holland an Bord eines Schiffes gegangen und in Schweden gelandet, wo sie auf dem Gut Näverkärr nördlich von Lysekil den Rest ihres Lebens verbrachte. Sie hatte den Mut gehabt, zu sagen, dass Jungs es viel leichter hatten, weil man ihnen mehr Freiheiten ließ. Ihr großer Bruder Nils war auf die
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