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Die Wächter von Jerusalem

Die Wächter von Jerusalem

Titel: Die Wächter von Jerusalem
Autoren: Franziska Wulf
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entfernt am Boden neben Rashid kauerte wie ein kleines, verschrecktes Kind. Unablässig streichelte sie sein weißes Gesicht, sein blondes Haar. Und im selben Augenblick wusste Cosimo, dass es nichts mehr gab, was sie für Rashid tun konnten.
    »Signorina Anne, was ist mit ihm?«, fragte Anselmo, als hätte er noch nicht begriffen, was geschehen war. Er kniete neben Rashid nieder und nahm seine schlaffe blutbesudelte Hand, ohne dabei den Degen zu berühren, der aus seinem Brustkorb herausragte. »Soll ich einen Arzt holen? Ich … ich bin schnell. Und ich weiß, wo ein guter Arzt wohnt. Ich bin gleich wieder zurück.«
    Anne schüttelte den Kopf. Tränen liefen immer noch über ihr Gesicht, doch in ihre Augen mischte sich Mitleid. Mitleid mit Anselmo, der sich immer noch dagegen zu sträuben schien, der Wahrheit ins Antlitz zu blicken.
    »Aber … aber seht doch nur das Blut! Wir können ihn doch nicht einfach hier verbluten lassen. Wir müssen ihm doch wenigstens …«
    »Es hat keinen Sinn mehr, Anselmo«, sagte Anne sanft mit halb erstickter Stimme. »Er ist bereits tot.«
    »Tot?« Anselmo wurde bleich. »Tot!? Aber warum? Wieso …«
    Seine Augen weiteten sich, und er sah Cosimo an, als würde er erwarten, dass er ihm helfen könnte, dass er Rashid wieder zum Leben erwecken könnte, dass alles wieder gut werden würde, wenn er nur ein Wort sagte oder mit dem Finger schnippte oder einen Zauber sprach. Dann endlich schien er zu begreifen.
    Behutsam legte er Rashids Hand auf die Brust zurück.
    »Ich danke dir, mein Freund«, sagte er leise und küsste Rashid auf die Stirn. »Der tödliche Stoß galt eigentlich mir.« Anselmo erhob sich.
    »Hast du das Pergament?«, fragte Cosimo.
    »Ja«, antwortete Anselmo und reichte ihm Giacomos Beutel , ohne ihn dabei anzusehen. »Wir haben es. Aber zu welchem Preis.«
    Dann ging er. Cosimo sah ihm nach. Ja, der Preis war wahrlich hoch. Ein junges Leben war ausgelöscht worden, während er und Anselmo weiterleben mussten – Jahrzehnte, vielleicht sogar Jahrhunderte lang. Manchmal, in Stunden wie dieser, konnte er ermessen, weshalb das Werk des Merlin Fluch des Merlin genannt wurde. Es brachte nur Unheil und Verderben über die, die sich mit ihm befassten.
    Das Spiel ist aus
    Meleachim verließ die Stadt. Er war zufrieden, ein erfolgreicher Tag lag hinter ihm. Er hatte seine Schüsseln, Krüge, Becher und Teller bis auf einen kleinen Rest verkauft, und die Käufer waren mit seiner Arbeit zufrieden gewesen. Eigentlich hätten seine Beine ihn jetzt schnell und leicht nach Hause tragen müssen. Früher war er an Tagen wie diesem förmlich seiner Frau und seinen Kindern entgegengeflogen. Aber jetzt? Er schüttelte den Kopf, während er langsam einen Fuß vor den anderen setzte. Das Alter forderte seinen Tribut. Er war noch müde vom Hinweg, und die Hitze auf dem Marktplatz hatte ihm an diesem Tag noch mehr zugesetzt als sonst. Natürlich würden seine Beine ihn auch diesmal wieder nach Hause tragen , sie taten immer noch treu und brav ihren Dienst, aber es ging eben nicht mehr so schnell wie vor dreißig Jahren.
    Meleachim stellte sein Bündel mit den wenigen verbliebenen Tonwaren ab, um einen Schluck aus dem Wasserbeutel zu trinken. Dabei sah er noch einmal zur Stadt zurück. Die Strahlen der allmählich untergehenden Sonne ließen die Zinnen und Kuppeln funkeln, als wären sie aus purem Gold. Jerusalem, Stadt des Friedens.
    Da sah Meleachim zwei Wanderer die Straße entlanggehen. Auch sie kamen aus der Stadt, und er überlegte gerade, ob er sich ihnen anschließen sollte, als er bemerkte, dass sie schnell gingen. Viel schneller, als er es vermocht hätte.
    Die haben es aber eilig, dachte er, und aus einer Eingebung heraus versteckte er sich hinter einem Busch, um die beiden Wanderer zu beobachten.
    Als sie näher kamen, erkannte er, dass er sie schon einmal gesehen hatte. Es waren die beiden Wanderer, deren Unterhaltung er vor einiger Zeit mitangehört hatte. Damals waren sie auf dem Weg nach Jerusalem gewesen. Und jetzt? Warum gingen sie so schnell, dass sie förmlich liefen? Waren sie etwa auf der Flucht?
    »Pater!«, rief der Jüngere der beiden gerade. »Aber … Pater , wir haben doch unser Werk noch gar nicht vollendet, die Stadt …«
    »Die Stadt wird ohne uns auskommen müssen«, sagte der andere, der sich beim Gehen auf einen Stab stützte und dabei so kräftig ausschritt, dass sein jüngerer Begleiter ihm kaum folgen konnte. »Sie ist es nicht wert, gerettet zu
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