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Die Wächter von Jerusalem

Die Wächter von Jerusalem

Titel: Die Wächter von Jerusalem
Autoren: Franziska Wulf
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Medici«, sagte er spöttisch und trat ein paar Schritte näher. »Was treibt dich denn in eine Kirche? Du willst doch nicht etwa beten?«
    Cosimo runzelte zornig die Stirn. »Glaubst du, dass dies hier der richtige Ort für deine Spielchen ist?«, fragte er. »Wo kommst du her, und was willst du hier?«
    Giacomo lächelte. »Mein lieber Cosimo, ich bin ein Pilger, ein bescheidener Diener Gottes. Ich komme hierher, um zu beten – und um etwas zu holen, das mir gehört«, sagte er, und seine Stimme war so sanft, dass es Anne schauderte.
    Damals in Florenz hatte sie dieser Stimme und diesem freundlichen Lächeln geglaubt. Sie hatte geglaubt, dass er ihr helfen wollte. Tatsächlich aber hatte er sie nur ausgenutzt. Er hatte sie über Cosimo und die Familie Medici ausgehorcht und ihr letztendlich sogar ihr Kind geraubt. Wie hatte sie sich nur jemals so von ihm täuschen lassen können?
    Cosimo knirschte mit den Zähnen, als Giacomo aus einem Beutel an seiner Seite eine Pergamentrolle hervorholte.
    »Das Rezept für das Mittel gegen das Elixier der Ewigkeit !«, stieß er mühsam hervor, und Anne konnte sehen, wie er die Fäuste ballte. So wütend hatte sie Cosimo noch nie erlebt. »Du hast es tatsächlich gefunden.«
    »Oh, ich wusste gar nicht, dass auch du dich für diese Schrift interessierst«, sagte Giacomo mit einem Lächeln, für das man ihn hätte schlagen können. »Das nenne ich aber wirklich Pech. Du bist nur wenige Augenblicke zu spät gekommen. Ich habe das Pergament gerade eben aus seinem Versteck geholt . Eigentlich …« Er neigte den Kopf zur Seite, und seine Augen wurden schmal und begannen seltsam zu funkeln. »Wir hätten uns hier gar nicht begegnen sollen. Habe ich dich und deine Lakaien etwa unterschätzt? Eigentlich hatte ich es so arrangiert , dass …« Er zuckte mit den Schultern. »Ich muss irgendeine Kleinigkeit übersehen haben. Etwas … Nun, nicht einmal ich kann an alles denken. Ich werde es später korrigieren , wenn ich wieder zu Hause bin.«
    »Korrigieren?«, zischte Cosimo. »Glaub mir, ich weiß genau , was du damit meinst. Aber das werde ich nicht zulassen, so wahr ich hier stehe.«
    »Na, na, na, Cosimo!« Giacomo schüttelte tadelnd den Kopf. »Du willst mir doch nicht etwa drohen, hier, an diesem heiligen Ort, nur wenige Schritte vom Grab unseres Herrn Jesus Christus entfernt?«
    »Pater?«, erklang plötzlich eine Stimme durch die Kirche. »Pater Giacomo? Wo seid Ihr?«
    Schritte näherten sich, und Giacomo wandte sich leicht um.
    »Ah, Stefano!«, rief er. »Ich bin hier beim Grab von Josef von Arimatäa. Komm her, ich möchte dir jemanden vorstellen, von dem ich dir schon oft erzählt habe.«
    Diesen Augenblick mangelnder Aufmerksamkeit nutzte Cosimo aus, um Anselmo ein Zeichen zu geben. Er nickte, zog sich langsam zurück und versteckte sich schließlich hinter einer der Säulen. Anselmo war ein geschickter Taschendieb. Wenn er es schaffte, sich unbemerkt an Giacomo heranzuschleichen , würde das Pergament doch noch ihnen gehören.
    »Ist es nicht eine seltsame Fügung, dass das Pergament ausgerechnet beim Grabe jenes Mannes versteckt war, der den Heiligen Gral nach England brachte, in dasselbe Kloster, zu dem Pater Joseph und seine Mitbrüder gehörten? Es muss ihm erschienen sein wie ein Fingerzeig Gottes. Ich wundere mich, dass du nicht eher auf die Lösung des Rätsels gekommen bist, Cosimo. Und …«
    »Weiß Stefano von dem Pergament?«, fragte Cosimo mit zornbebender Stimme.
    »Stefano? Nein. Ich belaste ihn ungern mit solchen Kleinigkeiten . Außerdem …« Giacomo grinste hämisch. »Zu viel Wissen kann einem schlichten Geist erheblichen Schaden zufügen , wie man zum Beispiel bei deiner zahmen Ratte Anselmo sehr gut sehen kann. Wo ist er übrigens? Ich kann ihn nirgendwo entdecken.«
    »Wahrscheinlich hat ihn deine Arroganz und Bosheit in die Flucht geschlagen«, entgegnete Cosimo.
    Wieder schüttelte Giacomo den Kopf. »Weshalb so zornig, Cosimo? Können wir denn nicht wenigstens einmal in Ruhe miteinander reden?«
    In diesem Augenblick trat hinter einer Säule ein junger Mann hervor. Annes Herz schlug bis zum Hals. Sie konnte es kaum fassen, dass dieser schlanke, hochgewachsene junge Mann wirklich ihr Sohn sein sollte, ihr eigenes Kind. Es war ein seltsames Gefühl. Dieser Mann dort war ihr so fremd wie irgendein x- beliebiger Mann auf den Straßen von Jerusalem. Und doch hätte sie ihn gern berührt, sein schmales Gesicht mit der scharfen Nase gestreichelt. Er
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