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Die Waechter der Teufelsbibel - Historischer Roman

Titel: Die Waechter der Teufelsbibel - Historischer Roman
Autoren: Richard Duebell
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auf ihn warteten, doch nichts geschah. Er torkelte durch das Kuriositätenkabinett, von seinem Instinkt durch die Finsternis gelenkt; als er dachte, er müsse bei den Regalen mit den missgestalteten Fehlgeburten angelangt sein, roch er auch schon den Alkohol und spürte die Konservierungsflüssigkeit um seine Schuhe herum aufspritzen.
    Dann flog die Tür auf, Lichtschein drang herein, und ein weiterer Instinkt ließ Sebastiàn hinter das nächste Regal huschen.
    »Los, mehr Licht!«
    Eine Handvoll Männer drang in das erste Gewölbe. Rüstungen schimmerten. Sebastiàn kroch tiefer in das Regal hinein. Das Licht näherte sich, während die Gruppe die Gewölbe durchquerte. Auch sie hatte einen Anführer, einen Mann mit einem langen, dunklen Mantel. Die Soldaten folgten ihm.
    »Mein Gott, was ist das da vorn?«
    »Heilige Maria …!«
    »Eine Missgeburt«, sagte die erste Stimme und hörte sich krank an. Sebastiàn kannte sie nicht – dafür wurde ihm plötzlich klar, was der knöchellange Mantel tatsächlich war: die Soutane eines Pfarrers. »Seine Majestät hat sie gesammelt. Ich glaube, hier gibt es Dutzende davon.«
    »Heilige Maria …«
    »Wo ist das geheime Labor?«
    »Unterhalb der letzten Kammer, Ehrwürden.«
    Das Licht glitt an Sebastiàns Versteck vorbei. Sein Blick fiel auf einen schmuckvoll gefassten Pokal direkt vor ihm. Ein Gesicht starrte ihn aus dem Pokal heraus teilnahmslos an, schwerlidrige Augen, eine breite Nase, wulstige Lippen, ein Kopf, der auf keinem Hals saß und oberhalb der Augen einfach abgeflacht war wie ein Brett. Das Licht verschwand im Kuriositätenkabinett. Sebastiàn hörte die überraschten oder angeekelten Ausrufe der Wachen und dann die plötzliche, schockierte Stille, als sie die Falltür entdeckt und mit ihren Lampen hinuntergeleuchtet hatten. Er kroch aus seinem Versteck heraus und rannte zum Ausgang des Kuriositätenkabinetts, so schnell er konnte, merkte nicht, dass ihm die Tränen über die Wangen liefen und dass sein Mund versuchte, Worte zu rufen, die seine verformte Kehle niemals würde hervorbringen können, die sich wie ein dumpfes Muhen anhörten und der andere Grund waren, der ihm seinen Spitznamen eingebracht hatte.
    Er lief in den Gang hinaus, rannte an die gegenüberliegende Wand, rutschte an ihr zu Boden und schluchzte. Durch die Tränen in den Augen sah er eine Gestalt in gelb-rotem Gewand eilig herankommen, sah einen breitkrempigen Hut mit langen Federn in denselben Farben darüber wippen. Es war ihm egal, dass der Mann ihn auf dem Boden liegen und weinen sah; das Entsetzen über das, was er gesehen und mit knapper Not überlebt hatte, überdeckte alle anderen Gefühle. Er krümmte sich zusammen und wünschte sich, nicht mehr am Leben zu sein.
    Plötzlich fühlte er sich hochgehoben; er starrte in ein hübsches Jungengesicht über den Flammenfarben des Gewandes, sah es lächeln.
    »Leb wohl, Toro«, sagte das Gesicht, und falls das Entsetzen in Sebastiàns Seele noch größer werden konnte, dann war die Stimme daran schuld. Er kannte sie. Wenige Augenblicke vorher hatte er sie sagen hören: »Macht die Missgeburten fertig!«
    Der junge Mann mit dem flammenfarbenen Gewand hielt ihn mühelos mit einer Hand in die Höhe. Sebastiàn schlug mit seinen kleinen Fäusten gegen den Arm, an dem er hing. Es war, als kämpfe ein Schmetterling mit seinem Flügelschlag gegen einen Löwen. Er hörte das Geräusch des Fensters, als sein Gegner es mit der freien Hand öffnete, fühlte die Januarkälte hereindringen. Er hörte sich ächzen …
    … dann war er auf einmal schwerelos. Ein Teil seines Wesens fühlte, wie lächerlich die Erinnerung in diesem Augenblick war, die Erinnerung an einen warmen Sommertag, die erhitzten Gesichter, die auf ihn zukamen und sich von ihm wegbewegten, die Decke, die sich spannte und ihn in die Höhe schleuderte, die ihn weich in Empfang nahm, als er wieder nach unten stürzte, nur um ihn von Neuem nach oben zu katapultieren … das Lachen und Kreischen der Hofdamen, die an der Decke ruckten … die kleinen Flügel, die man ihm auf den Rücken geschnallt hatte und die sich in Federgestöber auflösten, während er auf und ab flog, so dass er in einem weichen, warmen Schneegestöber zu taumeln schien … das knielange Hemdchen, das sein einziges Kleidungsstück war und das ihm bei jedem neuen Emporschnellen bis zu den Achseln hochrutschte, zum johlenden Vergnügen der Hofdamen … ein lebender, drei Fuß großer Puttenengel mit feschem
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