Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Die vollkommene Lady

Die vollkommene Lady

Titel: Die vollkommene Lady
Autoren: Margery Sharp
Vom Netzwerk:
bald mit einem heftigen Erschrecken um den ersten
Platz streiten mußte, und zwischen beiden war ein angenehm erregendes Geschmeicheltsein
nicht zu leugnen.
    Sie wollte von Fred nichts mehr, und
ganz bestimmt nicht jetzt und hier; aber, wie rührend, daß er überhaupt
gekommen war! Der arme, gute, alte Fred!
    „Wo ist der Herr?“ fragte sie.
    „Dort“, erwiderte Anthelmine und zeigte
mit einem Ruck ihrer Schulter zum Tor. Sie sah Julia mit einem
freundschaftlichen, mitwissenden Lächeln an; es war ihr ganz klar, daß der
Besucher nichts mit Sir William zu tun hatte.
    „Ich gehe“, sagte Julia sehr abweisend.
„Vielen Dank.“
    Anthelmine lächelte wieder. Die ganze
nähere Umgebung war mit ihrem großen Takt angefüllt, als sie sich mit ihrer
Begleiterin zur Küche zurückzog. Julia wartete, bis sie verschwunden waren, und
eilte dann den Weg hinunter. Lieber alter Fred, dachte sie, als sie an der
Biegung ankam. Sie würde fünf Minuten freundlich und vornehm mit ihm
verplaudern und ihn dann fortschicken. So viel mußte sie ihm schon zugestehen.
Weniger würde nicht nur unhöflich, nein, es würde auch nicht damenhaft sein.
    In dem Wunsche, es bald hinter sich zu
haben, lief Julia beinahe, so daß man es Mr. Genocchio, der sie kommen sah und
ihre wahren Beweggründe nicht erraten konnte, verzeihen muß, daß er die
Situation gänzlich mißverstand. Er sah nur, daß Julia auf ihn zueilte, sich in
den Rosen verfing, sich losriß und weitereilte — und so ging er ihr mit
glücklicher, wenn auch unberechtigter Selbstverständlichkeit ein paar Schritte
entgegen, fing sie in seinen Armen auf und küßte sie mit aller Gründlichkeit.
    „Fred!“ rief Julia.
    Er ließ sie sofort los. Der Widerwillen
in ihrer Stimme war unmißverständlich. Julia zog sich etwas zurück und streckte
ihm die Hand hin. „Aber Fred!“ sagte sie ein wenig von oben herab. „Welch eine
Überraschung!“
    Fred verstand sich nicht so gut wie sie
auf geistige Akrobatik. Anstatt sich wie ein Gentleman zu fassen und ihr die
Hand zu schütteln, stand Mr. Genocchio mit offenem Mund vor ihr. „Was ist denn
los?“ fragte er ohne Umschweife. „Freust du dich nicht, mich wiederzusehen?“
    „Natürlich freue ich mich.“
    „Na, du siehst nicht gerade so aus!“
    „Du hast mich so überrascht“, erklärte
Julia. „Ich nahm an, du seist noch in Paris. Ist eure Reise schon zu Ende?“
    „Ja, die ist zu Ende“, bejahte Mr.
Genocchio mit trauriger Stimme. „Ma und die anderen sind schon gestern
abgefahren.“
    „Ist Ma wieder ganz in Ordnung?“
    „O ja, der geht’s gut.“
    „Und die anderen?“
    „Auch. Wie geht es dir denn selbst?“
    „Mir geht’s fein“, sagte Julia.
    „Ja, das sieht man dir an“, sagte Mr.
Genocchio. „Du siehst großartig aus.“
    Die alte Bewunderung klang noch warm
wie damals aus seiner Stimme, leuchtete unverhüllt aus seinen Augen, und Julia
konnte sich nicht helfen — sie hatte gar nichts dagegen. Er war nun einmal
phantastisch gewachsen, das konnte selbst der Straßenanzug nicht verbergen.
Wenn er im Trikot hier angekommen wäre — sie hätte die Verantwortung nicht
übernehmen wollen.
    „Amüsierst du dich gut hier?“
    „Wunderbar“, sagte Julia.
    „Möchtest du nicht vielleicht ein
bißchen Abwechslung? Einen, zwei Tage nach Aix oder irgendwohin? Oder Paris?“
Julia holte tief Atem. „Ich muß dir etwas sagen, Fred — ich hätte es dir gleich
sagen sollen— ich werde bald heiraten.“ Mr. Genocchio starrte sie einen
Augenblick sprachlos an, dann drehte er sich auf seinem Absatz um und starrte
einen Rosenstrauch an. „Glückwünsche“, sagte er über seine Schulter. „Der Kerl
wohnt auch hier?“
    „Ja. Sieh nicht so aus, Fred!“
    „Warum denn nicht?“
    „Es — es macht mich traurig.“
    „Ich bin ja auch traurig“, sagte Fred. „Ich
hab’ zwar gar keinen Grund und kein Recht dazu, aber so ist es nun mal.“ Er
brach einen Rosenzweig ab und drehte ihn in seiner Fland hin und her. „Ich habe
einen Wagen gemietet“, sagte er.
    Julia schluckte. Sie war eine so
hemmungslos mitleidige Seele, daß sie beinahe weinte. „Es tut mir leid, Fred.
Wirklich!“
    „Du brauchst ja nun nicht mit zu klagen“,
sagte Mr. Genocchio, der sich allmählich wieder faßte, „oder wenigstens will
ich das nicht hoffen. Wie ist er denn? Ist er ein netter Kerl?“
    Diese Worte, die zur Beschreibung Sir
Williams so vollkommen unzulänglich waren, verletzten Julias Ohren. Aber eine
merkwürdige
Vom Netzwerk:

Weitere Kostenlose Bücher