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Die Verstummten: Thriller (German Edition)

Die Verstummten: Thriller (German Edition)

Titel: Die Verstummten: Thriller (German Edition)
Autoren: Stephanie Fey
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Richard öffnete den Kühlschrank und zog das Gemüsefach auf.
    Carina schob ihre Arme um die schlafende Flora und drückte sie an sich. Sie war leichter als erwartet, ihre Haut fühlte sich trocken an, und in den Armbeugen und Kniekehlen klebten Farbreste. Mit großen Schritten rannte sie los.
    »Warum hast du Mamas Schuhe an?« Flora erwachte an der Haustür. »Die Insekten da drauf hab ich gemalt.«
    »Damit ich dich finde«, flüsterte Carina.
    Als sie mit Flora endlich draußen stand, hörte sie einen Schuss.

70.
    Iris erinnerte sich noch, als wäre es gestern gewesen. Sie hatte wirklich mit allem abgeschlossen, hatte Matte angerufen und wollte ihn bitten, ihre Tochter noch einmal sehen zu dürfen. Obwohl sie sich auch davor fürchtete wie vor sonst nichts, wollte sie nicht so aus dem Leben scheiden. Ihre Tochter sollte eines Tages verstehen können, dass es nur diese Möglichkeit für sie gegeben hatte. Und wenn nicht, dann sollte sie wenigstens an sie denken können, an diesen einen Tag ihrer letzten Begegnung. Mit zwölf verstand man alles, war schlauer als so manch Großer, an der Grenze zwischen Kindheit und Erwachsenwerden. Aber Matte ließ es gar nicht erst so weit kommen, dass sie nach Carina fragen konnte. Seine Stimme am Telefon klang verändert. So wie er sie früher angefleht hatte, noch einmal alles zu überdenken, bei ihm zu bleiben und gemeinsam neu anzufangen, so wies er sie nun ab. Dann sagte er, Carina sei nicht mehr ihre Tochter, sie sei sein Kind und das Kind seiner Frau. Absurd. Und doch stimmte es in diesem Moment. Sie hatte sie verloren. Zugleich hatte sie ihr damit den bestmöglichen Schutz verliehen. Wenn sie als ihre Mutter nicht mehr existierte, dann konnten die Vier Carina nichts antun. Blieb also nur noch, sich selbst auszulöschen.
    Und jetzt musste sie wieder weg, wieder alles hinter sich lassen. Calimero hatte Salamander und Felix nicht verraten, dass sie als Bestatterin arbeitete, sonst wären sie ihr zuvorgekommen und hätten nicht vor Olivias Haus gewartet. Noch war Michael nicht in Gefahr. Sollte Salamander ihn trotzdem aufspüren und umbringen, würde ihre Tochter nie erfahren, wie alles zusammenhing. Vielleicht war das auch besser für sie. Edgar, der ihr damals Unterschlupf geboten hatte, hatte seine Neugier mit dem Tod bezahlt, als er bei einer seiner Motorradtouren noch einmal nach Neumaising fuhr. Ihr lag noch Calimeros Flehen in den Ohren, wenn sie daran dachte. Sie hatte es nicht erhört. Wenige Stunden nachdem sie ihm das blutverschmierte Kissen frisch überzogen hatte und gegangen war, starb er. Michael nahm den Anruf aus dem Hospiz entgegen und führte die Bestattung aus. Für ihn war es ein Routinefall, mehr nicht.

71.
    Enni schlief mit offenem Mund und seinen fetten Kopfhörern auf den Ohren über seinem Verband im Krankenhausbett. Sein Gesicht war rot, die Haut ging ihm ab. Wo hatte er sich so einen starken Sonnenbrand geholt? Die Frau, die Carina hieß und Mamas Schuhe trug, hatte sie hierher gebracht und war bei ihr geblieben, als andere Leute sie untersuchten und ihr viele Fragen stellten, auf die sie keine Antworten wusste. Sie blieb bei ihr, als sie sie auszogen, ihr die Verbände an den Füßen abnahmen und Fotos machten. Sie weinte sogar mit ihr mit, als der Verband am rechten Fuß festklebte, das Loch wieder aufbrach und sie nach ihrer Mama schrie. Die ganze Zeit hoffte Flora, dass endlich ihre Eltern kamen, aber keiner antwortete ihr auf die Frage, wo sie blieben. Irgendwann war sie auf Carinas Schoß eingeschlafen. Sie roch grüngelb wie eine Zitrone, und das vertrieb endgültig Richards Zwiebelgeruch.
    Wenigstens war Enni jetzt da, er sabberte auf die Schulterschlaufe, in der sein Arm lag. Auch seine Hand war bandagiert, hoffentlich war sie nicht auch von irgendwas durchbohrt worden. Sie strich über seine abgeknabberten Fingernägel, die aus dem Verband ragten.
    Er fuhr zusammen, nahm die Kopfhörer ab und breitete die Arme aus. Sie drückte sich vorsichtig an seinem Verband zu ihm. »Hey, Große, ich hab dich so vermisst«, flüsterte er ihr ins Ohr, das sich plötzlich nass anfühlte von seinen Tränen. »Wie geht’s dir denn?«
    Das wusste sie nicht genau, ihre Farben waren verstreut, als hätte jemand Wasser über sie geschüttet und alles verdünnt. »Ist das mit dem Auto passiert?«, fragte sie stattdessen, ging um das Bett herum und lehnte sich lieber an seine unverletzte Seite.
    Er nickte. »Sozusagen. Vorläufig wird es wohl noch nichts
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