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Die verschwundene Frau

Die verschwundene Frau

Titel: Die verschwundene Frau
Autoren: Sara Paretsky
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bringst uns alle um.« Sie rang die Hände, als könnte sie so ihren Kummer loswerden.
    »Vielleicht hattest du mit deinen Ängsten gar nicht so unrecht.« Ich versuchte ein Lächeln, schaffte es aber nicht ganz. »Ich werde dir keine Vorwürfe machen, dass du Angst gehabt hast, und schon gar nicht dafür, dass du versucht hast, Nate und Josh zu schützen. Verletzt hat mich nur das Urteil, das du über mich gefällt hast, als du behauptet hast, ich renne sehenden Auges in mein Unglück, obwohl ich in Wirklichkeit um mein Leben gekämpft habe. Ich musste mitten rein in die Hölle, um mich selbst zu retten. Wenn du genug Vertrauen zu mir gehabt hättest, mir zu sagen, warum du dich von mir zurückziehst, wäre alles viel leichter gewesen.«
    »Du hast recht, Vic«, sagte sie kleinlaut. »Ich hätte mich wegen Lemour an Terry wenden können; vielleicht hätte ihn das davon abgehalten, dir das Kokain unterzuschieben oder dich bei deiner Verhaftung zu verprügeln. Ich kann nur sagen, dass es mir leid tut. Es würde mich allerdings freuen, wenn du mir noch eine Chance geben würdest.«
    Wir beließen es dabei, dass sie das Büro wieder eröffnen, die Akten in Ordnung bringen und erste Informationen von Kunden aufnehmen würde, solange ich mich noch in der Genesungsphase befand. Drei Monate lang würden wir es erst mal so probieren und dann sehen, wie wir miteinander zurechtkamen.
    Ich versuchte mehrfach, wieder mit der Arbeit zu beginnen, fühlte mich aber zu ausgelaugt. Ich hatte dem Psychologen vom Grete-Berman-Institut gesagt, ich würde mich besser fühlen, wenn ich aufhören könnte, mir so hilflos vorzukommen. Eigentlich hätte die Ausschaltung von Lemour und Baladine meine Probleme lösen sollen, aber ich litt immer noch unter Schlaflosigkeit. Vielleicht lag das daran, dass ich nach wie vor den üblen Geschmack von Coolis im Mund hatte, vielleicht hatte es aber auch etwas damit zu tun, dass ich mir Vorwürfe machte, dort geblieben zu sein, obwohl die Kaution in meinem Fall keine Schwierigkeiten bereitet hätte, denn nun hatte ich den Eindruck, dass ich das Schicksal selbst herausgefordert hätte. Es gab noch immer zu viele Nächte, in denen ich mich vor dem Einschlafen fürchtete, weil auf der anderen Seite zu viele schlimme Träume auf mich warteten.
    Am Abend nach meiner Pressepräsentation hatte ich Morrell mit zu mir nach Hause genommen, aber als er angefangen hatte, sich zu entkleiden, hatte ich ihn gebeten zu gehen. Er hatte mich lange angesehen und seine Jeans wieder zugeknöpft. Am nächsten Morgen hatte er mir eine einzelne Rose und einen kurzen Brief geschickt, in dem er schrieb, er werde mein Bedürfnis nach Distanz respektieren, freue sich aber schon auf das nächste Gespräch mit mir und auf ein Treffen in der Öffentlichkeit.
    Das Wissen, dass ich selbst entscheiden konnte, dass Morrell sich mir nicht aufdrängen würde, erleichterte mir das Einschlafen ein wenig. Am Ende der Saison ging ich zusammen mit ihm zu ein paar Spielen der Cubs und sah Sammy Sosa mit seinem siebenundvierzigsten Homerun. Ich lud Morrell zu meinem samstagnachmittäglichen Basketballspiel in den Park ein, ging mit ihm zum Abendessen, verbrachte aber die Nächte allein mit den Hunden.
    Ansonsten hatte ich jede Menge zu tun. Ich machte Aussagen vor der Staatsanwaltschaft, vor den Anwälten der Aufseher in Coolis, di e ich verklagt hatte, vor den Anwälten von Baladine, vor den Anwälten von Global. Ich traf mich sogar mit Alex Fisher. Ihrer Meinung nach war es gut, wenn ich ein paar meiner Aussagen über Global und Frenada ein wenig abmilderte.
    »Sandy, und ich nenne dich weiter Sandy, weil dieser Name das einzige ist, was ich an dir jemals leiden konnte: Du bist schon damals im Jurastudium ein ziemliches Ekelpaket gewesen. Du wolltest unbedingt eine Aufwieglerin sein und die Botschaft von Rassismus und sozialer Ungerechtigkeit ins Proletariat tragen, doch ich habe dir Unbehagen bereitet, weil ich ein ziemlich merkwürdiges Phänomen in dieser angesehenen Fakultät verkörpert habe - ich war ein echtes Arbeiterkind. Aber damals warst du zumindest noch, wer du eben warst: Sandy Fishbein. Du hast dich nicht für was anderes ausgegeben. Doch plötzlich hast du den Kapitalismus entdeckt und dir Nase und Lippen korrigieren lassen, und dabei haben sie gleich auch noch ein Stück von deinem Namen weggeschnitten.«
    »Darüber wollte ich mich eigentlich nicht mit dir unterhalten«, sagte sie, aber ihre Stimme klang jetzt weniger
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