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Die verschollene Symphonie

Die verschollene Symphonie

Titel: Die verschollene Symphonie
Autoren: James A. Owen
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eingehen: ihre Lenden für einen Tropfen Alkohol? Er schüttelte den Gedanken ab. Was immer man seiner Mutter vorwerfen konnte, sie war keine Hure. Eine Säuferin, sicherlich, aber keine, die ihre Haut zu Markte getragen hätte. Sie lebte stets monogam, das heißt, sie gab sich immer nur mit einem Mann ab, so lange, wie dieser bei ihr blieb. Nur bei der Wahl ihrer Männer ließ sie ihr Urteilsvermögen regelmäßig im Stich. Meist hatten sie ein geregeltes Einkommen, waren jedoch derb und brutal. Besonders der Letzte von ihnen, Vaughn. Hätte seine Mutter in jener Nacht Einwände erhoben, als der Seemann ihre Kinder mit sich nahm, um sie zu ertränken, dann hätte Juda ihr verzeihen können. Doch das hatte sie nicht getan, und deshalb hatte er sie ebenfalls getötet.
    Insgeheim hoffte er, dass der Mann, wegen dem er hierher gekommen war, nicht in dieses Muster passte. Er hoffte, dass der Mann, mit dem seine Mutter in dieser Nacht zusammen sein würde, irgendwie anders wäre.
    Sein nüchterner Verstand sagte ihm das Gegenteil. Die Kreise, in denen sich seine Mutter bewegte, machten es unwahrscheinlich, dass sie einem Mann aus den oberen Schichten der Gesellschaft begegnen würde. Und doch hoffte er, dass der Mann nicht zu den niedersten Geschöpfen gehörte, dass irgendein Charakterzug darauf hinweisen würde, dass er sich über die Stufe des Tieres erhoben hatte. Er hoffte auf irgendeine versöhnende Eigenschaft in diesem Mann – der immerhin sein Vater war.
    Er trat zurück in die Schatten, um im Verborgenen zu bleiben, während die Schritte aus der entgegengesetzten Richtung erneut näher kamen, dieses Mal langsamer. Als die Frau an ihm vorbeigegangen war, glitt er geräuschlos in ihren Schatten und folgte ihr zu der schmuddeligen Hütte, die einige Straßen vom Hafen entfernt lag.
    Sie war ohne Begleitung und betrat das Haus allein. Vielleicht war ihr Liebhaber bereits dort und wartete auf sie – aber nein, sie zündete im Wohnzimmer eine Öllaterne an, ließ sich schwer auf einen Stuhl fallen und nahm einen tiefen Schluck aus ihrer Flasche. Sie war wirklich allein.
    Juda grübelte über die Unwahrscheinlichkeit dieses Ereignisses nach. Bis zur Morgendämmerung blieben nur noch wenige Stunden, doch seine Berechnungen besagten eindeutig, dass seine Empfängnis in dieser Nacht stattfand.
    Er hatte nie die Möglichkeit in Betracht gezogen, dass diese Berechnungen falsch sein könnten. Er irrte sich selten, und wenn doch, dann gestand er es sich niemals ein. Vielleicht hatte er den Augenblick verpasst. Vielleicht war sie bereits bei einem Mann gewesen und war einfach nach Hause zurückgekehrt, um die Erinnerung daran im Alkohol zu ertränken.
    Es gab nur eine Möglichkeit, das herauszufinden.
    Juda klopfte laut an die Tür, und seine Selbstbeherrschung gewann rasch wieder die Oberhand, als die Frau die Tür öffnete und er in Augen blickte, die ein Abbild seiner eigenen waren.
    »Was ist? Was wollen Sie?«
    »Darf ich hereinkommen?«
    Einer ersten Eingebung gehorchend, wollte sie die Tür wieder schließen. Doch dann überlegte sie es sich anders und ließ den schlanken Mann mit den dunklen Augen herein. Irgendetwas an ihm hatte sie neugierig gemacht.
    Sie stand vor ihm und faltete die Hände, ein wenig unsicher, wie sie sich in der ungewohnten Situation verhalten sollte. Sein Aussehen und sein Benehmen entsprachen nicht dem, was sie normalerweise von Männern gewohnt war, die sich für sie interessierten. Sie wusste nicht, ob sie ihm aus Höflichkeit einen Drink anbieten sollte, und hoffte zugleich, dass dies nicht nötig sein würde – schließlich war ihre Wodka-Flasche nicht bodenlos.
    Juda nahm dem Augenblick seine lastende Schwere, indem er direkt zur Sache kam.
    »Haben Sie Kinder?«
    Sie runzelte verwirrt die Stirn. »Kinder? Wofür? Für eine Fabrik?«
    Juda spürte einen leichten Widerwillen, als er begriff, woran sie dachte, und schüttelte den Kopf. »Nein. Ich möchte einfach nur wissen, ob Sie Kinder haben.«
    »Noch nicht, Gott sei’s gedankt«, schnaubte sie, hob die Flasche und kippte einen Schluck hinunter. »Und so Gott will, werde ich auch keine haben. Ist schon schwer genug, mir selbst Essen und ein Dach über dem Kopf zu beschaffen, ohne dass mir so ein Balg am Rockzipfel hängt.«
    Judas Gesicht verfinsterte sich. »Und wenn Sie nun doch feststellen würden, dass Sie schwanger sind? Was dann?«
    »Nun, dann bleibt mir wohl nichts anderes übrig, als den kleinen Racker in die Welt zu setzen.
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