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Die verschollene Symphonie

Die verschollene Symphonie

Titel: Die verschollene Symphonie
Autoren: James A. Owen
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spielen werde. Man hat mich gewarnt – aber ich habe nicht zugehört. Und als ich meinen Fehler bemerkte, war es längst zu spät. Derjenige, der mir den Rat gegeben hatte, war nicht mehr am Leben. Er hatte den Kopf verloren, buchstäblich übrigens.«
    »Wer war das?«
    »Stiefelchen. Sein Name war Stiefelchen.«
     

     
    Bei ihrem zweiten Patientengespräch, oder besser gesagt dem zweiten Eintrag auf dem Klemmbrett, handelte es sich um den geheimnisvollen Herrn Schwan, der die Schatten im hinteren Teil seines Raumes im obersten Stockwerk des Turms niemals verließ. Er schenkte Besuchern keinerlei Beachtung, und seiner Patientenakte zufolge war er länger in der Einrichtung als jeder andere, einschließlich der Mitarbeiter. Es gab sogar das alberne Gerücht, dass man ihn mit der Burg übernommen hatte und er ebenso zu ihrem Inventar gehörte wie das Pförtnerhäuschen oder die Ställe.
    Soweit die Ärztin wusste, hatte seit ihrer Ankunft in der Burg niemand – nicht einmal der Direktor – mehr als einen flüchtigen Blick auf ihn erhaschen können. Die Tabletts mit Essen und Medikamenten wurden durch einen Schlitz im unteren Bereich der Tür hindurchgeschoben und gegen Abend leer in Empfang genommen.
    Sie blieb an der Tür stehen und schauderte unwillkürlich. Dann machte sie einen Haken in dem Kästchen neben Herrn Schwans Namen und ging weiter.
     

     
    »Von Essen, Unterkunft, Wasser und Luft abgesehen, brauchen die Menschen zum Überleben anscheinend vor allem ein Gefühl von Ordnung – einen angeborenen Glauben, dass der Lauf der Welt von unumstößlichen, unerschütterlichen Gesetzen bestimmt wird. Sie brauchen den Glauben, dass das Gute über das Böse siegen wird, dass Unrecht schließlich wieder gutgemacht wird und dass die schreckliche Oberflächlichkeit, mit der die meisten Menschen ihr Leben verbringen, lediglich den Umständen entspringt und nicht die Regel ist. Außerdem ist regelmäßiger Sex von Vorteil.«
    Das letzte Patientengespräch wurde gemeinschaftlich durchgeführt, hauptsächlich weil die drei Patienten die gleichen Geschichten und Beschwerden hatten. Alle drei waren früher an der Universität Wien angestellt gewesen, und alle drei behaupteten, von zwanzigtausend Jahre alten atlantischen Magiern besessen zu sein. Man hatte sie vor allem deshalb im selben Raum untergebracht, weil sie in ausgedehnte Diskussionen über alle erdenklichen Themen zu verfallen neigten und deshalb genauere Beobachtungen möglich machten. Irgendjemand hatte die Theorie aufgestellt, dass sie unter einer Art kollektiver Wahnvorstellung litten und dass alle drei irgendwie auf den gleichen psychologischen Pfaden – vermutlich genetisch verankerter – Erinnerungen wandelten. Andererseits war ein weiterer Universitätsmitarbeiter von einem der Magier besessen gewesen, bis das Wesen seinen Wirtskörper verlassen und sich ein neues Opfer gesucht hatte, und dem Mann ging es den Berichten zufolge gut.
    Einer der Patienten war der ehemalige Leiter des Instituts für Katholische Theologie, der zweite dagegen ein Vizerektor, der dem Institut für Protestantische Theologie vorgestanden hatte, und der dritte ein Professor der Sozialwissenschaften, der dem Mormonentum zugeneigt war. Diese Kombination sorgte für einige überaus ungewöhnliche Gespräche, die von den Mitarbeitern der Klinik fleißig aufgezeichnet wurden. Innerhalb eines knappen Jahres waren die Akten der drei Patienten derart angewachsen, dass sie fünfundneunzig Prozent des verfügbaren Lagerraumes in den Büros der Stiftung einnahmen.
    »Bei euch Mormonen geht es wohl immer nur um Sex, was?«, schnaubte einer der Magier, den die Ärztin Peter getauft hatte. »Das ist das A und O eures Lebens.«
    »Nun, erstens«, gab der Magier mit dem Spitznamen Monty zurück, »ist Sex das A und O in unser aller Leben. Und zweitens halte ich es für dumm, sich auf einen Aspekt einer Religion zu konzentrieren, der auf jedermann zutrifft, und ihn für einmalig zu erklären.«
    Der protestantische Magier, der in den Unterlagen als Lex geführt wurde, nickte energisch. »Ohne Sex wäre keiner von uns hier.«
    »Außer durch die Gnade Gottes«, konterte Peter.
    »Und Sex«, fügte Monty hinzu.
    »Monty, glauben Sie, dass Sex im Katholizismus eine ebenso große Rolle spielt wie im Mormonentum?«, fragte die Ärztin.
    »Die Frage ist unerheblich«, sagte Monty. »Sex ist für jedermann so wichtig, dass er in einer Diskussion wie dieser keine Rolle spielen sollte.«
    »Wie kann
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