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Die verschollene Symphonie

Die verschollene Symphonie

Titel: Die verschollene Symphonie
Autoren: James A. Owen
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saß auf dem schmalen Bett. Er trug immer noch eine Zwangsjacke, hatte sich jedoch anscheinend beruhigt. Er war groß und stattlich, gut gekleidet, wenn auch ein wenig zerzaust. Sie setzte sich auf einen Stuhl gegenüber des Bettes und sah ihn gelassen an. Sein Blick war klar, doch etwas unstet. Er schien nicht erregt oder gefährlich zu sein, aber der Schein trog. Die Ereignisse der letzten Nacht hatten das bewiesen.
    Sie atmete tief ein und sprach ihn an. Dabei achtete sie darauf, ihn mit seinem Vornamen anzureden, um ihn nicht zu beunruhigen. »Hallo Mikaal. Ich bin Doktor Kapelson.«
    Seine Augen kamen für einen Moment zur Ruhe.
    Dann sah er auf und begegnete ihrem Blick. »Ich kenne Sie.«
    »Sie können mich nicht kennen, Mikaal. Wir sind uns gerade zum ersten Mal begegnet. Ich möchte nur kurz mit Ihnen reden, dann lasse ich Sie in Frieden. Kann ich Ihnen irgendetwas bringen? Wasser vielleicht?«
    Er ignorierte ihre Fragen. »Ich kenne Sie. Ich habe Sie schon einmal gesehen.«
    Sie schüttelte bedächtig den Kopf. Eine solche Wendung des Gesprächs hatte sie nicht vorausgesehen, und bei dem Gedanken an die Vorgeschichte des Patienten schaute sie sich unwillkürlich nach den nicht vorhandenen Pflegern um. »Mikaal…«, setzte sie an.
    »Mein Name ist nicht Mikaal.«
    Unvermittelt stand er auf und die Ärztin schnappte nach Luft. Er stellte nicht unbedingt eine Bedrohung dar, doch inzwischen wünschte sie sich, sie hätte sich strikter an die Anweisungen des Direktors gehalten.
    »Mein Name ist nicht Mikaal«, wiederholte er. »Wer sind Sie?«
    »Ich heiße Doktor Kapelson«, sagte sie noch einmal.
    »Nein«, widersprach er. »Wie lautet Ihr Vorname, Ihr wahrer Name?«
    Sie zögerte, doch er wirkte nicht aufgebracht. Er schien lediglich neugierig zu sein. »Ich heiße Marisa.«
    Seltsamerweise schien ihn diese Antwort nur zu verwirren. »Nein«, sagte er langsam. »Das ist nicht Ihr Name. Ich kenne Sie. Ich bin Ihnen schon einmal begegnet. Aber das ist nicht Ihr Name.«
    Er sah blinzelnd zu ihr herüber, als läge zwischen ihnen dichter Nebel, und schien sein Gedächtnis zu durchforsten. »Ich… ich kenne Sie, nicht wahr? Ich weiß…«
    Seine Gesichtszüge hellten sich mit einem Mal auf und er entspannte sich. »Ja – Kriemhild. Sie sind Kriemhild!«
    Das war schlecht – ein sicheres Zeichen dafür, dass sie ihn nicht in ihre Realität hinüberzog, sondern er sie vielmehr mit zunehmender Geschwindigkeit in seine eigenen Wahnvorstellungen eingliederte. Sie ignorierte seine Feststellung und kehrte zu der Frage nach seiner Identität zurück. Sie wollte das Gesprächsthema unbedingt von sich selbst ablenken. »Sie sagten, Ihr Name sei nicht Mikaal – vielleicht können Sie mir sagen, wie Sie heißen? Wie Ihr wahrer Name lautet?«
    Ein breites Lächeln erschien auf seinem Gesicht. »Mein Name«, sagte der Mann und richtete sich zu seiner vollen Größe auf, »ist Hagen von Tronje.«

 
KAPITEL ZWEI
Das Rätsel
     
    Ihren eigentlichen Sitz hatte die Eidolon-Stiftung in einem unauffälligen Bürogebäude in der Stadt Linz. Doch die Forschungseinrichtung, in der Doktor Kapelson arbeitete, befand sich mehrere Kilometer außerhalb der Stadt, auf dem Gelände eines historischen Gebäudes, das als Schloss Hagenberg bekannt war.
    Seit Februar 1989 war die mittelalterliche Burg, die fünfundzwanzig Kilometer von Linz entfernt inmitten des Mühlviertels lag, umgebaut worden und beherbergte nun das Forschungsinstitut für Symbolisches Rechnen, ein modernes Informatikinstitut. Die geniale Weise, in der die historische Grundstruktur des Gebäudes mit der modernen wissenschaftlichen Einrichtung verbunden worden war, brachte den Architekten internationale Anerkennung ein und machte die Burg zu einer der originellsten Arbeitsstätten der Welt.
    RISC-Linz, wie das Institut genannt wurde, war 1987 von Professor Bruno Buchberger ins Leben gerufen worden. Unter seiner Leitung gründete und verwaltete RISC auch den Software-Park Hagenberg und wurde zur treibenden Kraft hinter der Einrichtung der Fachhochschule Hagenberg und dem Software Competence Center Hagenberg. Unter Wissenschaftlern begann der Witz die Runde zu machen, man könne finanzielle Unterstützung für jedes beliebige Forschungsprojekt erhalten, wenn man dem zuständigen Professor eine Kiste Chablis schickte und ein Programm, dessen Überschrift mit dem Wort ›Hagenberg‹ endete.
    Am Rand des Geländes befand sich ein eher unbedeutender Komplex von
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