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Die Verlorenen - Die Soldaten in Napoleons Russlandfeldzug

Die Verlorenen - Die Soldaten in Napoleons Russlandfeldzug

Titel: Die Verlorenen - Die Soldaten in Napoleons Russlandfeldzug
Autoren: Eckart Klessmann
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drohen, imponierte Caulaincourt nicht im geringsten. Auch dies wußte der Kaiser. Und er vermutete, der ehemalige Botschafter habe sich vom Zaren, den er als »hinterhältig« bezeichnete, viel zu sehr einwickeln lassen, denn während seiner Zeit in der russischen Residenzstadt hatte Caulaincourt eine fast schon freundschaftlich zu nennende Beziehung zu Alexander I., entwickelt. Und auch der Herrscher aller Reußen empfand offensichtlich Zuneigungfür diesen noblen Franzosen. Napoleon befürchtete insofern, dass Caulaincourt den Zaren vielleicht doch zu positiv sähe, dem er zwar einen sehr gewinnenden Charme zubilligte, aber auch eine ziemliche Verschlagenheit unterstellte, was Napoleon bei seinen eigenen Begegnungen mit dem Zaren nicht entgangen war.
    Das Verhältnis der beiden Monarchen zueinander war zwiespältig. Nachdem Alexander 1807 den gemeinsam mit Preußen gegen Frankreich geführten Krieg verloren und um Waffenstillstand nachgesucht hatte, waren sich die beiden Kaiser persönlich begegnet und hatten einander sofort sympathisch gefunden, was dem Zaren vorerst durchaus Vorteile brachte. Beim Friedensschluß von Tilsit hatten Napoleon und Alexander Europa in eine französische und eine russische Interessensphäre aufgeteilt. Doch nur scheinbar – denn tatsächlich sorgte sich Napoleon, Rußland könnte zu stark werden, und ermunterte deswegen heimlich das Osmanische Reich zu einem Krieg gegen Rußland. Ein wesentliches Kernstück des Vertrages war, daß der Zar der vom Kaiser erlassenen Handelsblockade gegen England (»Kontinentalsperre«) beitrat – allerdings ohne die Folgen dieser Maßnahme zu überblicken. Denn die Blockade bedeutete, daß Rußland seine Häfen den englischen Schiffen verschloß und auf jeglichen Handel mit England konsequent verzichtete.
    England wurde von dieser Maßnahme durchaus getroffen, denn es brauchte den russischen Handelspartner. Es bezog von ihm Flachs und Hanf, Pech und Schiffsholz, die Materialien also, ohne die Englands stärkste Waffe, seine Flotte, nicht unterhalten und vergrößert werden konnte. Schon 1761 hatte der britische Staatssekretär Townshend erklärt: »Will man es auf einen Bruch mit Rußland ankommen lassen, so muß man auch damit rechnen, daß man im nächsten Jahr nicht über genügend Rohstoffe verfügen wird, um eine Flotte ausrüsten zu können.« Und 1799 hieß es in einer offiziellen Mitteilung des Foreign Office: »Von den Russen hängt es ab, ob die englischeFlotte in all ihren Unternehmungen angehalten, in der Mitte all ihrer großen Anstrengungen gelähmt und so unfähig gemacht wird, ihre Feinde zur See zu verfolgen.« Rußland wiederum, ein industriell unterentwickeltes Land, brauchte den Handel mit England, um von dort im Austausch gegen seine Rohprodukte hochwertige Industriegüter und Konsumwaren zu beziehen. Die Kontinentalsperre mußte also der russischen Wirtschaft verderblich werden, und Alexander hatte schon bald Gelegenheit, seine voreilige Nachgiebigkeit gegenüber Napoleon zu bereuen.
    Außerdem fühlte er sich von ihm hintergangen, denn der Kaiser hatte inzwischen ein System eingeführt, mit dem er seine eigene Blockade durchlöcherte. Frankreich produzierte weit mehr Getreide und Wein, als es selber brauchte, und für den Überschuß gab es nur einen Abnehmer: England. Also verständigten sich beide Staaten diskret über eine Vergabe von Lizenzen, mit denen französische Schiffe Getreide und Wein, dazu Seidenstoffe, Parfum, Cognac, Likör, Wolle, Holz, frisches, eingemachtes und getrocknetes Obst nach England bringen durften und von dort mit Kolonialwaren (vor allem Kaffee, Tee und Rohrzucker) in ihre Häfen zurückkehrten, die Napoleon dann zu kräftig überhöhten Preisen verkaufen ließ. An diesen Lizenzen verdiente Frankreich prächtig, und es empörte den Zaren, als er von diesem heimlichen Handel erfuhr. Der Kaiser gab sich harmlos; Alexander könnte es doch auch einmal mit solchen Lizenzen versuchen, dagegen sei nichts einzuwenden, worauf sich der Zar jedoch nicht einlassen wollte.
    Auch sonst hatte sich seit Tilsit einiger Unmut auf beiden Seiten angesammelt, den das feierliche Treffen der Monarchen beim Erfurter Kongreß im Oktober 1808 nicht hatte abbauen können, obwohl man versuchte, Europa eine so herzliche wie unverbrüchliche Freundschaft vorzuspielen. Österreich bereitete damals in aller Stille einen Revanchekrieg gegen Frankreich vor, über dessen Planungen der französische Geheimdienst bestens informiert war.
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