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Die vergessene Generation: Die Kriegskinder brechen ihr Schweigen

Die vergessene Generation: Die Kriegskinder brechen ihr Schweigen

Titel: Die vergessene Generation: Die Kriegskinder brechen ihr Schweigen
Autoren: Sabine Bode
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Gerade diese beiden Pole machen deutlich, dass es nicht um eine, sondern um mehrere Generationen geht.
    Und dennoch gibt es viele Ähnlichkeiten in den Aussagen über die Kriegszeit und die schweren Jahre danach. Zum Beispiel der Satz: »Es war nie langweilig«. Und: »Was wir damals erlebt haben, war für uns normal.« Soll heißen: »Wir haben das, was der Krieg mit sich brachte, als normal empfunden, zumal es ja allen Familien ringsum genauso ging, und wir haben uns in unserem Alltag so wenig wie möglich vom Krieg stören lassen.«
    Nun ist ja bekannt, dass kleine Kinder auch extreme Lebensumstände so hinnehmen, wie sie sind. Romanautoren haben sich immer wieder davon inspirieren lassen, dass solche Prägungen ihre eigene Dynamik entwickeln. Ein Kind, das in einem Bordell aufwächst, wird das als völlig normal empfinden, bis es mit den Normen der Außenwelt in Kontakt kommt. Wenn dann aus dem Kind ein reflektierender Erwachsener geworden ist, wird er ein Bewusstsein davon entwickeln, welche Spuren eine solche Kindheit bei ihm hinterlassen hat.
    Bei meinen Gesprächspartnern war das in der Regel anders. Sie wollten nur von ihren Kindheitserinnerungen erzählen, die siegern mit dem Satz einleiteten: »Wir haben in dieser Zeit auch viel Schönes erlebt.« Selbst im Nachhinein fehlte der Mehrzahl der Betroffenen das angemessene Gefühl für das, was sie an Schrecken erfahren hatten. Dass das Haus der Lieblingstante, in dem man so viel Schönes erlebt hatte, von Bomben komplett zerstört worden war, das erwähnte ein Mann nur beiläufig; bei mir kam es so an wie: nichts Besonderes, so was hat man eben weggesteckt. Sprach ich meine Interviewpartner darauf an, dann stellte sich heraus, dass sie auch das Festhalten an eigentlich nicht adäquaten Gefühlen – bis hin zur Gefühllosigkeit – heute noch »ganz normal« finden.
    Ein zähes Thema, nicht nur für die Befragten. Wenn ich es Zeitungs- oder Fernsehredakteuren anbot, die selbst der Kriegskindergeneration angehörten, stieß ich auf fast einhellige Ablehnung. Genauer gesagt, in den meisten Fällen kam überhaupt keine Reaktion. Meine Exposés wurden offenbar zur Seite gelegt und dann vergessen. Das kannte ich noch nicht, dass ein Themenvorschlag so viel Schweigen auszulösen vermochte.
    Oberflächlich sah es so aus, als habe man die Frage »Wie hat sich die Kriegskindheit auf das weitere Leben ausgewirkt?« einfach für unwichtig gehalten. Doch schließlich wurde mir klar: Das zugrunde liegende Thema beunruhigt uns Deutsche weit mehr, als ich angenommen hatte. Die Antworten liegen unter der Last von Schuld und Scham begraben, als Folgen der Naziverbrechen, des Holocaust.
    Warum mich das Thema nicht losgelassen hat? Ich glaube, dies hat nun wiederum mit meiner eigenen Generation zu tun, mit den kurz nach dem Krieg Geborenen. Ich habe als Kleinkind das zerstörte Köln gesehen. So, wie die Erwachsenen darauf reagierten, war es klar, dass das Wort »Krieg« etwas Schlimmes bedeutete. Ich glaube also, dass ich in einem Alter eine Ahnung von Vergangenheit bekam, in dem man üblicherweise nur in der Gegenwart lebt und das Vergangene noch gar keine Kategorie ist. Das Vergangene war allgegenwärtig und trotzdem ein geheimnisvolles Tabu. Als Jugendliche entwickelte ich dann eine konkreteNeugier. In der Schule erfuhren wir von den Naziverbrechen, von Auschwitz; die Eltern reagierten auf meine Fragen mit Ärger oder Schweigen.
    Als ich dann dreißig Jahre später beim Thema Kriegskinder ähnliche Erfahrungen machte, wieder in verhärtete Gesichter blickte, wusste ich, dass ich auf etwas gestoßen war. Wieder wurden meine Fragen abgewehrt. Wieder wurde mir bedeutet, dass ich keine Ahnung hätte. Wahrscheinlich gibt es für meine Neugier nichts Stimulierenderes als kollektive Geheimnisse.
    Während ich an diesem Buch schrieb, geschah etwas Unerwartetes: Günter Grass veröffentlichte 2002 seine Novelle »Im Krebsgang« und löste damit in deutschen wie in ausländischen Zeitungen einen Diskurs über die heikle Thematik »Die Deutschen als Opfer« aus. Befürchtet wurde eine Relativierung der deutschen Schuld. Gewarnt wurde vor einer Aufrechnung von Opfern der NS-Verbrechen, des Holocaust, mit den deutschen Opfern von Bombenkrieg, Flucht und Vertreibung.
    Günter Grass befand in seinem Buch, er habe zu lange geschwiegen, und lenkte die Aufmerksamkeit auf die deutschen Opfer von Krieg und Vertreibung. Ein Zitat macht die Hintergründe seiner Sinneswandlung deutlich: Niemals,
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