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Die vergessene Generation: Die Kriegskinder brechen ihr Schweigen

Die vergessene Generation: Die Kriegskinder brechen ihr Schweigen

Titel: Die vergessene Generation: Die Kriegskinder brechen ihr Schweigen
Autoren: Sabine Bode
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sagt er, hätte man über so viel Leid, nur weil die eigene Schuld übermächtig und bekennende Reue in all den Jahren vordringlich gewesen sei, schweigen, das gemiedene Thema den Rechtsgestrickten überlassen dürfen. Dieses Versäumnis sei bodenlos . . .
    Anfang 2002 widmete »Der Spiegel« dem »Krebsgang« vor dem Hintergrund des Themas Flucht und Vertreibung eine Titelgeschichte. Darin stand, was dem Tenor in fast allen großen Zeitungen entsprach: dass über die Folgen der Nazizeit und des Krieges noch einmal gründlich nachgedacht werden müsse. Als ich den »Spiegel«-Titel las, wusste ich: Das ist der Wendepunkt. Jetzt ändert sich etwas. Jetzt kommt auch das Thema »deutsche Kriegskinder« endlich an die Öffentlichkeit, schon deshalb, weil sie die letzten lebenden Zeitzeugen sind.
    Mit der Veröffentlichung der Grass-Novelle sowie des ebenfalls2002 erschienenen Buches »Der Brand« von Jörg Friedrich wurden eine heftige Diskussion und vor allem eine gigantische Erinnerungswelle ausgelöst, die bis heute anhält. Dabei von einem Tabubruch zu reden wäre wohl übertrieben. Aber ganz sicher handelt es sich um einen Dammbruch, weshalb die Flut der Erinnerungen nun auch bei den Kriegskindern nicht mehr zurückzudrängen ist. Für sie ist es häufig das erste Mal, dass sie darüber reden – vorher hatte ja keiner danach gefragt.
    In meinem Buch steht die Sicht der Betroffenen im Vordergrund. Ich habe sehr viele Stimmen gesammelt, aber meine Auswahl beschränkt sich auf Lebensläufe, die stark vom Krieg geprägt wurden (wobei alle Namen mit Sternchen geändert worden sind). So haben mich vor allem jene Frauen und Männer interessiert, die zwar wussten, aber bis vor Kurzem überhaupt nicht empfanden , dass in ihrer Kindheit etwas Besonderes oder gar etwas besonders Schreckliches vorgegangen war.
    Dass die Katastrophe des Luftkriegs in Deutschland weit weniger öffentliches Thema war als das der Vertreibung, mag erklären, warum in diesem Buch mehr von den Überlebenden des Bombenkriegs die Rede ist als von Flüchtlings- und Vertriebenenschicksalen.
    Beim Abfassen der veröffentlichten Lebensgeschichten aus der Kriegskindergeneration war mir klar, dass die Erinnerungen und die damalige Realität nicht immer deckungsgleich sind. Vieles konnte ich nicht überprüfen, weil mir andere Quellen fehlten. Unvermeidbar auch, dass es mir, der Nachgeborenen, hin und wieder an Zweifeln mangelte, dass ich also bestimmte Behauptungen hinnahm, weil ich nie etwas Abweichendes gehört hatte. Bei Unkorrektheiten bitte ich um die Nachsicht derer, die es als Zeitzeugen und Historiker besser wissen.
    Bildung, beruflicher Erfolg und eine robuste Gesundheit erweisen sich als enorm hilfreich, wenn es darum geht, frühes Leid zu kompensieren. Daher begab ich mich auf die Suche nach den weniger begünstigten Zeitzeugen und erkundigte mich bei Ärzten und bei Krankenkassen. Ich hoffte, es gäbe vielleichtStatistiken über den Gesundheitszustand der Jahrgänge 1930 bis 1945. Fehlanzeige. Dann schaute ich noch einmal gezielt zwei Ordner mit Post durch: 600 Hörer hatten auf meine nicht gerade zahlreichen Sendungen zum Thema »Kriegskinder« geschrieben. Die meisten von ihnen beließen es bei einer Bitte um das Manuskript. Etwa 20 Prozent hatten hinzugefügt, warum diese Sendung sie persönlich so betroffen hatte. Das alles war aufschlussreich und unterstützend, führte mich aber auch nicht zu der Gruppe der Unsichtbaren, von deren Existenz ich nach wie vor überzeugt bin.
    Sie kommen also wieder zu kurz, hier in diesem Buch – wie übrigens auch diejenigen, die in der DDR lebten. Der Hauptgrund ist, dass ich als Kölnerin am westlichen Rand der Republik wohne und meine Kontakte mit Ostdeutschland entsprechend dünn sind. Meine Beiträge über die Kriegskindergeneration wurden fast ausschließlich in Westdeutschland gesendet. In der Hörerpost waren folglich kaum Briefe aus Ostdeutschland, die mir bei meinen Recherchen hätten weiterhelfen können. Das bedauere ich, denn mir ist bewusst, dass es in der DDR vor allem die Vertriebenen besonders schwer hatten. Sie mussten sich »Umsiedler« nennen und über ihr Schicksal schweigen. In den meisten Vertriebenenfamilien ist das Tabu immer noch wirksam – auch zwanzig Jahre nach der Wende.
    Doch auch dies wird sich noch ändern, dafür sorgen nicht zuletzt die neuen Medien.
    Seit ich über das Thema »Kriegskinder« Beiträge im Internet veröffentliche, erreichen mich ständig E-Mails, auch aus
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