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Die vergessene Generation: Die Kriegskinder brechen ihr Schweigen

Die vergessene Generation: Die Kriegskinder brechen ihr Schweigen

Titel: Die vergessene Generation: Die Kriegskinder brechen ihr Schweigen
Autoren: Sabine Bode
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des Volkstrauertags nicht wiedergefunden – warum sollte dies bei einem »Bombenopfergedenktag« oder in der Neuen Wache zu Berlin besser gelingen?
    Die Bundesregierung und der Politiker Gauweiler haben noch nicht verstanden, warum es notwendig ist, den öffentlichen Diskurs über das angemessene Gedenken der Kriegsschrecken endlich zu führen und ihn vor allem zu gestalten.
Mit dem Schicksal Frieden schließen
    Ein neuer Opferkult? Bloß nicht. Stattdessen Solidarität mit den Überlebenden. Ihren Trauerprozess unterstützen. Heide Ostmann-Simon bringt es auf den Punkt: »Es ist jetzt an der Zeit, das Geschehene zu verarbeiten und zu trauern. Und zwar deshalb, damit Menschen ihre psychische Energie, die sie in die Verdrängung gesteckt haben, wieder freibekommen. Warum? Damit sie diese Energie in die wichtige Aufgabe investieren können, gut alt zu werden!«
    Trauern bedeutet, das versäumte Leben und die Verluste wahrzunehmen. Trauern hilft, die leidvollen Erfahrungen zu verarbeiten und als Teil der eigenen Identität anzunehmen. Trauern heißt: mit seinem Schicksal Frieden schließen.

FÜNFZEHNTES KAPITEL
    Vom Schweigen, Sprechen und Verstehen
Im Gespräch mit Kriegskindern
    Seit 2004 kommen Menschen zu meinen Lesungen, weil sie Kriegskinder sind. Jedes Mal bestätigt sich: Das Neue an der Thematik »Kriegskinder« sind nicht die Schrecken des Krieges. Es ist seit Langem bekannt, dass Kinder ganz besonders unter kollektiver Gewalt leiden. Neu ist, dass es sich hier um eine große Gruppe von Menschen handelt, die in der Kindheit verheerende Erfahrungen machten, aber über Jahrzehnte in der Mehrzahl gar nicht das Gefühl hatten, etwas besonders Schlimmes erlebt zu haben. Denn es fehlte ihnen der emotionale Zugang zu diesen Erfahrungen und damit auch der Zugang zu ihren wichtigsten Prägungen.
    Bei meinen Lesungen haben sich im Laufe der Zeit die Schwerpunkte des Austauschs mit den Besuchern verschoben. Im ersten Jahr erlebte ich häufig folgende Situation: Nachdem ich einige dramatische Fälle von Menschen mit unverarbeiteten Kriegstraumata vorgestellt hatte, waren die Ersten, die sich aus dem Publikum zu Wort meldeten, in der Regel zwischen 1928 und 1933 Geborene. Sie sagten, man könne mir im Wesentlichen nur recht geben, die Zeiten seien schrecklich gewesen, aber im Grunde habe man dies alles »sehr ordentlich« gemeistert. Das heißt: Sie identifizierten sich in keiner Weise mit denen, deren Schicksal gerade zur Sprache gekommen war, und sie schilderten zur Bestätigung ihrer Aussage eigene dramatische Erlebnisse, immer mit dem Zusatz, man habe sie gut bewältigt.
    Wenn Besucher keinerlei Empathie für jene Kriegskinder erkennen ließen, die im Alter unter den Spätfolgen litten, konnte es geschehen, dass in den hinteren Reihen drei Menschen aufstanden und die Veranstaltung verließen. Später wurde mir klar, wer sie waren und warum sie gerade diese Art der Wortmeldungen nicht ertrugen. Es handelte sich um »jüngere Geschwister«.Offenbar hörten sie einen Subtext, der lautete: Wer heute noch an Kriegserlebnissen leidet, ist selbst schuld oder grundsätzlich labil veranlagt.
Jüngere und ältere Geschwister
    Ich kannte die Altersgruppe der um 1930 Geborenen aus meinen Interviews. In der Regel waren sie sich ihrer Kriegserlebnisse bewusst, und sie konnten gut einschätzen, ob sie und ihre Familien schwer oder leicht betroffen waren. Sie zeigten viel Verständnis für die Überlastung ihrer Eltern, aber kaum je für die ihrer jüngeren Geschwister, schon gar nicht, wenn es sich um Nachzügler handelte. Auffällig oft fiel ihr Urteil recht erbarmungslos aus. Die Jüngeren, hieß es dann, seien »labil« oder »unvernünftig«. Meine Nachfrage, ob hier seelische Verletzungen aus der Kriegszeit zugrunde liegen könnten, wischten die Älteren schnell vom Tisch. Das konnte nicht sein, »denn schließlich haben wir ja alle dasselbe durchgemacht«. Es fehlte die Wahrnehmung dafür, dass es für die Kleineren weit schwerer war, mit einer Kette von furchtbaren Erlebnissen fertigzuwerden, weil die überforderten Erwachsenen nicht die Sicherheit und Nestwärme geben konnten, die Kleinkinder für den Aufbau ihrer psychischen Stabilität brauchen. Gerade sie, die in den letzten Kriegsjahren auf die Welt Gekommenen, hatten dazu in ihren Familien kaum etwas anderes gehört als den Satz: »Ihr habt es doch gut gehabt, ihr habt doch davon nichts mitbekommen.«
Vaterlos, kinderlos
    Vor zwei Jahren erreichte mich der Brief einer
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