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Die vergessene Frau

Die vergessene Frau

Titel: Die vergessene Frau
Autoren: Tara Hayland
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Sean auf der Farm geblieben wäre, um den Weizen einzubringen, doch wie so oft hatte sich der junge Mann nicht festlegen wollen. Auch diesmal antwortete der Farmhelfer: »Ich weiß beim besten Willen nicht, was ich anfangen werde, Sir. Das wird sich zeigen, wenn die Zeit gekommen ist.«
    Der ältere Mann schüttelte missbilligend den Kopf. »Das ist eine seltsame Art zu leben, immerzu von einem Ort zum anderen zu wandern, ohne Sicherheit und ohne Wurzeln.«
    »Aber, Da!« Franny fand es schrecklich, dass ihr Vater bei jeder Gelegenheit gegen Sean stichelte.
    »Es stimmt aber. Er führt ein Leben wie ein Kesselflicker.«
    Alle schwiegen verlegen, Sean schien sich allerdings nicht daran zu stören. »Mir gefällt es so. Und die Welt wäre doch recht langweilig, wenn wir alle gleich wären, nicht wahr?«
    Franny strahlte ihn an. Er gab ihrem Vater Kontra, und dafür bewunderte sie ihn.
    Im nächsten Moment klopfte sich Sean auf den Bauch und rülpste vernehmlich. »Wie immer war es köstlich, Ladys. So gut wie hier habe ich noch nie gegessen. Bestimmt können Sie es kaum erwarten, mich loszuwerden.«
    Er zwinkerte Mrs Healey zu, die ihm dafür einen finsteren Blick zuwarf. Sie wusste genau, was für eine Sorte Mann Sean Gallagher war. Ein sympathischer Schwerenöter: charmant und unterhaltsam, aber eindeutig niemand, den man in der Nähe seiner Töchter haben wollte. Sie sah Frannys verzücktes Gesicht und spürte vor Angst einen Stich. Sie würde ihre Tochter im Auge behalten müssen. Ihre Jüngste war eine Romantikerin und hübscher, als gut für sie war.
    »Bei Franny brauchst du dich für das Essen nicht zu bedanken«, quengelte Maggie. »Sie hat keinen Handstreich getan.«
    Das machte ihren Vater hellhörig. »Stimmt das, Franny? Du hast dich schon wieder um deine Pflichten gedrückt?«
    Franny schoss einen giftigen Blick auf ihre ältere Schwester ab und hätte ihr am liebsten das eingebildete Lächeln vom Gesicht geohrfeigt.
    »Ja, Da«, bekannte sie und gab sich Mühe, zerknirscht zu wirken.
    »Und wo hast du diesmal gesteckt?«
    Bemüht, Sean nicht anzusehen, sagte sie: »Ich war spazieren. Und dabei habe ich die Zeit vergessen.«
    Ihr Vater schnaubte. »Du musst endlich mehr Verantwortung zeigen, Mädchen.«
    »Ja, Da.«
    Aber er redete schon weiter. »Tatsächlich ist es wohl an der Zeit, dass du anfängst, dich hier nützlich zu machen. Deine Mutter wird allmählich kraftlos. Von morgen an wirst du das Kleinvieh versorgen. Dann hast du auch weniger Zeit, Dummheiten zu machen.«
    Franny war entsetzt. Sie konnte sich nichts Schlimmeres vorstellen, als diese schmutzigen, stinkenden Schweine füttern zu müssen, oder die Ziege, die es irgendwie jedes Mal schaffte, an ihren Haaren zu rupfen.
    »Aber wozu? In ein paar Wochen bin ich sowieso in England.« Es war eher eine Frage als eine Feststellung. Niemand pflichtete ihr bei. »Da?«, bohrte sie nach.
    »Was denn?«
    Franny merkte, wie die Angst in ihr aufflackerte, schließlich wusste sie, wie leicht er in Rage geriet. Aber jetzt konnte sie nicht mehr zurück. »Ich habe gesagt, ich bin sowieso bald in London. Wir haben doch darüber gesprochen, dass ich Krankenschwester werden will. Und heute ist der Brief gekommen. Sie haben mich angenommen«, erklärte sie ihm stolz.
    Sie zog den zerknitterten Umschlag aus der Tasche und zeigte ihn vor. Sie hatte sich den Brief so oft angeschaut, dass er mittlerweile schon zerlesen war. Doch ihr Vater übersah ihre ausgestreckte Hand und aß weiter.
    »Michael«, schalt Theresa ihn milde, »das Kind möchte dir etwas zeigen.« Franny warf ihrer Mutter einen dankbaren Blick zu. Sie konnte sich besser als ihr Mann in den abenteuerlustigen Geist ihrer Tochter versetzen. Ihr war bewusst, dass sie ihrer Jüngsten die Flügel ohnehin nicht stutzen konnten.
    Grunzend schmetterte Michael die Gabel auf den Tisch und riss Franny den Brief aus der Hand. Er überflog ihn kurz und ließ ihn dann auf dem Tisch liegen. »Warum in aller Welt solltest du dahin wollen?«
    »Weil ich hier keine Zukunft habe!«
    »Zurzeit ist es schlecht. Vielleicht nächstes Jahr.«
    Das hatte Franny schon zu oft gehört. Diese Antwort würde sie Jahr für Jahr bekommen, bis sie schließlich zu alt oder zu resigniert war, um noch Träume zu haben. Sie sah flehentlich ihre Mutter an, doch Theresa hatte den Blick auf die Tischplatte gesenkt. Michael war kein gewalttätiger Mann, nicht wie einige andere, trotzdem setzte es hin und wieder Hiebe, wenn er wütend
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