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Die vergessene Frau

Die vergessene Frau

Titel: Die vergessene Frau
Autoren: Tara Hayland
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dabei, deine Zeit im Filmtheater zu verschwenden?«, knurrte ihr Vater regelmäßig.
    Aber Franny konnte sich nicht sattsehen an den Hollywoodfilmen, die sie für ein paar kurze Stunden aus ihrem langweiligen Leben entführten. Sie ging so oft ins Kino wie nur möglich, denn sie träumte davon, eines Tages selbst ein Filmstar zu werden wie Rita Hayworth, Betty Grable oder Jane Russell – und genau wie sie im glamourösen Los Angeles statt im öden Glen Vale zu leben.
    Franny hasste die ländliche Einöde, in der sie aufgewachsen war. In ihrem Dorf, rund sechzig Kilometer außerhalb von Cork gelegen, lebten nicht mehr als dreihundert Seelen, und dabei war der weitere Umkreis schon eingerechnet. Es war ein verarmter, freudloser Landstrich, wo sich die Männer entweder aufarbeiteten oder um den Verstand tranken, sich die Frauen aufs Beten und Kinderkriegen beschränken mussten – und die Töchter von klein auf angehalten wurden, keinesfalls mehr vom Leben zu erwarten.
    Franny wollte mehr. Sie war dazu geboren, aus der Masse herauszuragen. Mit siebzehn Jahren sah sie genauso aus, wie ein typisch irisches Mädchen aussehen sollte – und zwar in einer Welt, in der Maureen O’Hara die Maßstäbe setzte. Zu ihren glänzenden rotbraunen Haaren kamen große, freche grüne Augen, eine Haut wie frisch geschlagene Butter und eine kleine Himmelfahrtsnase voller hübscher Sommersprossen. Mit ihrem weichen, üppigen Leib hätte sie Lana Turner Konkurrenz machen können, und ihrem flammenden Haar entsprach eine leidenschaftliche Natur, eine Persönlichkeit, die an Lebhaftigkeit ihrem Äußeren in nichts nachstand. Es war, als wäre sie in Technicolor aufgenommen worden, während der Rest des Landes in Schwarz-Weiß verharrte. Sie hatte es sich in den Kopf gesetzt, Glen Vale so bald wie möglich zu verlassen. Und heute war sie ihrem großen Ziel einen Schritt näher gekommen.
    Sie schob die Hand in die Schürzentasche und ertastete erleichtert den Brief darin. Er war heute Morgen eingetroffen, und in ihm stand, dass sie zur Ausbildung als Krankenschwester in London zugelassen war. Sie war außer sich vor Freude. Nicht weil sie unbedingt Krankenschwester werden wollte, sondern weil das ihre Chance war, Irland zu verlassen. Wenn sie erst einmal in England angekommen war, würde ihr schon etwas einfallen, wie sie ihr sehnlichstes Ziel verwirklichen konnte – zum Film zu gehen.
    Aber davor musste sie noch eine schwere Hürde nehmen: den Segen ihres Vaters zu bekommen. Er würde auf keinen Fall wollen, dass sie wegging. Sein Horizont beschränkte sich auf Glen Vale, er war sein ganzes Leben lang nie weiter gekommen als bis Cork. Er war kein Abenteurer wie Sean, der schon jetzt davon sprach, nach London zurückzukehren. »Nach den Bombenangriffen liegt die ganze Stadt in Trümmern. Die werden Bauarbeiter brauchen, glaub mir«, hatte er ihr verkündet. Franny träumte oft insgeheim davon, dass sie in England zusammenleben würden.
    Als sich Franny dem Farmhaus näherte, merkte sie, wie ihr Mut sie allmählich verließ. Das Farmhaus und die umgebenden Außengebäude waren niedrige, einfallslose Backsteinbauten ohne Sinn für Schönheit, die ausschließlich ihrem Zweck dienen sollten. Draußen wusch sie sich an der Wasserpumpe die Hitze aus dem Gesicht. Schließlich sollte niemand Verdacht schöpfen, wo sie gewesen war. Die Küchenfenster waren beschlagen, woraus sie schloss, dass sie zu spät zum Essen kam. Leise fluchend trocknete sie hastig die Hände an der Schürze ab und lief ins Haus.
    Sobald sie die Küchentür aufzog, schlug ihr der feuchte, salzige Geruch von gekochtem Speck und Kohl entgegen. Sie verzog das Gesicht. Es gab immer nur Kohl und Speck oder Eintopf mit Kartoffeln – warum konnten sie nie etwas anderes essen?
    Ihre Mutter beugte sich gerade über den Herd und stach mit einer Gabel in die Kartoffeln, um festzustellen, ob sie gar waren. Als sie Franny sah, begann sie automatisch den Kopf zu schütteln.
    »Wo hast du gesteckt, Kind?« Theresa Healey war eine typische Glen-Vale-Frau. Einst war sie eine Schönheit gewesen wie Franny, aber die vielen Geburten und die Armut hatten sie ausgezehrt. Nichts fürchtete Franny so sehr, als dass sie wie ihre Mutter enden könnte.
    »Bestimmt wieder bei Sean Gallagher.« Das kam von Frannys älterer Schwester Maggie. Aus ihrem Mund klang es nicht stichelnd, sondern nur bösartig. Maggie fand immer etwas, worüber sie sich beschweren konnte, und am liebsten beschwerte sie sich
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