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Die Vergangenheit des Regens

Titel: Die Vergangenheit des Regens
Autoren: Tobias O. Meißner
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Mammut ist gefallen, und ich feige Drecksau habe mich rechtzeitig aus dem Staub gemacht.«
    Â»Bestarmekin«, sagte der König zum dritten Mal, und diesmal dröhnte seine Stimme regelrecht in der kleinen, nach gewürztem Rauch duftenden Thronhalle. »Allein, dass du am Leben bist, bedeutet, dass du eurem Feind eine Niederlage zugefügt hast. Selbst wenn es ihm gelingen sollte, alle anderen von euch zu bezwingen, so wird das Mammut dennoch fortbestehen, denn du bist das Mammut .«
    Bestar hörte diese Worte, die auch in den folgenden Tagen immer wieder, lauter und lauter werdend, in seinem Kopf widerhallten, doch sie vermochten sein Herz nicht im Mindesten zu trösten.
    Er rannte aus den Höhlen, verbarg sich vor den anderen, weinte wie ein kleiner Junge im vielfarbenen und in den Nächten in höheren Lagen nun bereits frostig bereiften Herbstlaub der Wildbarthänge, prügelte auf bemooste Steine ein, erwog, sich von einem hohen Grat herabzustürzen, mied das Stelenfeld und die anderen Plätze, wo weniger schuldbeladene Krieger als er sich trafen und miteinander maßen, und bediente sich höchstens verstohlen von dem abgebratenen Bergziegenfleisch mit Kräuterbrot, das Kurgattunek ihm mitfühlend in verschlossenen Tongefäßen zwischen die Steine mit dem abgeplatzten Moos stellte.
    Nach vier weiteren Tagen war es ausgerechnet Seraikella, der ihn auf einem windigen und trostlosen Felsvorsprung aufspürte, um ihm mitzuteilen, dass Rodraeg Talavessa Delbane wohlbehalten bei den Riesen angekommen sei.

    Bestar zersplitterte beinahe vor unbändiger Freude. Er wurde von Seraikella gleich einem zappeligen Staffelstab an Kurgattunek übergeben und kam Seite an Seite mit dem Riesen in die Höhlen gestürmt wie eine Naturgewalt. Als er Rodraeg dann tatsächlich dort stehen sah, schmaler und älter als jemals zuvor, lachte er laut auf, packte ihn, hielt ihn mit ausgestreckten Armen vor sich hin wie ein Kind, drückte ihn dann an seine Wange und wiegte ihn hin und her. Dabei kullerten erneut Tränen in seinen Bart. Dann erst gelang es ihm, sich einigermaßen zu fassen: »Wie bist du …? Wie kannst du …? Sie haben dich freigelassen, und alles wird gut?«
    Rodraeg lächelte schüchtern. Ihm war schwindelig von den Strapazen der Reise und von Bestars Schüttelei.
    Er trug Kleidung, die schlecht roch, ihm deutlich zu groß und für den Nebelmond auch nicht warm genug war. Er war unbewaffnet, hatte eine böse aussehende Schnittwunde in der rechten Handfläche und als einzigen Besitz eine leere, verkorkte Glasphiole, die Riban Leribin ihm anvertraut hatte, und eine rätselhafte Münze, wie sie noch keiner der Anwesenden je zu Gesicht bekommen hatte.
    Die Geschichte, die Rodraeg zu erzählen hatte, war düster und entbehrte jeglicher würdevoller Selbstdarstellung. Dennoch lud er Jeron MeLeil Gabria und Seraikella sowie jeden Riesen, der sich dafür interessierte, ausdrücklich dazu ein, sie zu hören. Und es kamen so viele in die Höhle des Rates, dass die Luft sehr stickig wurde und die Fackeln blakten, sodass alle Schatten wie irrsinnig zu tanzen begannen. Noch vor Kurzem hätte Rodraeg es in diesem Rauch gar nicht ausgehalten – er wäre hustend zusammengebrochen. Immerhin das war vorüber, immerhin diese eine Schwäche nun Vergangenheit.
    Rodraeg atmete tief ein und erzählte von dem unsichtbaren und unfassbaren Feind, der sich der Mann, der nicht geboren wurde genannt hatte und der ihn, Rodraeg, über ein fingiertes Attentat am Warchaimer Stadtgardekommandanten Gauden Endreasis ins Gefängnis manövriert hatte.
    Â»â€¦ als ich wieder zu mir kam«, übertönte Rodraegs Stimme das Scharren und Schnaufen der Zuhörer, »als ich aufwachte , wie ich annahm, fand ich mich mit der Mordnadel in der Hand über den Kommandanten gebeugt. Es war … für einen Augenblick wusste ich nicht mehr, ob mein ganzes bisheriges, für verhältnismäßig anständig gehaltenes Leben in Wirklichkeit ein Traum war und ich tatsächlich nur ein Mörder, der unter Schlafwandlerei litt …«
    Bestar ergänzte, wie, während Rodraeg bereits im Kerker saß, der Mann, der nicht geboren wurde den Schmetterlingsmann Estéron und einen jungen Gardeoffizier umbringen ließ und dieses Blutbad dazu führte, dass Bestar als vermeintlicher Mörder aus der Stadt fliehen
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