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Die Verfluchten

Die Verfluchten

Titel: Die Verfluchten
Autoren: Wolfgang Hohlbein
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sie doch gewiss von
Abu Dun eine Beschreibung abgegeben, nach der ihn jeder sofort
wiedererkennen würde. Obwohl er noch nicht lange in diesem Teil
der Welt war, hatte er doch eine der Eigenarten seiner Bewohner
bereits hinlänglich kennen gelernt: Sie waren ein schwatzhaftes Volk
mit einer mehr als blumigen Sprache. In den Erzählungen der Entkommenen war Abu Dun vermutlich mittlerweile drei Meter groß,
hatte vier Arme und konnte Feuer speien.
Kurz entschlossen schüttelte er den Kopf. »Ich gehe. Du wartest
hier.«
»Und zähle die Sterne am Himmel?«, erwiderte Abu Dun spöttisch.
»Warum nicht? Wir machen das doch immer so, nicht wahr? Du riskierst deinen Hals, und ich lasse es mir gut gehen und warte, bis du
zurückkommst.« Er grunzte verärgert. »Sie würden dich sofort als
Ungläubigen erkennen, Hexenmeister.«
Das war Unsinn, und Abu Dun wusste das. Andrej trug die typische
Kleidung der Einheimischen, einen Kaftan aus schwerer Baumwolle,
eng sitzende Stiefel, einen Turban - und mit seiner sonnengebräunten
Haut, den schmalen Zügen und dem pedantisch ausrasierten Bart
wirkte er zumindest auf den ersten Blick und bei einem so schlechten
Licht, wie es dort unten herrschte, durchaus wie ein Araber. Wenigstens solange er nicht gezwungen war zu sprechen. Die langen Jahre,
die er zusammen mit Abu Dun verbracht hatte, hatten ihm hinlänglich Gelegenheit gegeben, die Muttersprache des Nubiers zu erlernen. Aber nach ihrer Ankunft hier war ihm schnell klar geworden,
dass der Nubier nicht nur einen anscheinend fürchterlichen Dialekt
sprach, sondern es auch ein himmelweiter Unterschied war, eine
Sprache zu verstehen, oder sie fließend zu sprechen.
»Vielleicht können wir uns im Schutz der Dunkelheit anschleichen,
ohne dass sie uns überhaupt bemerken«, schlug er ohne viel Hoffnung vor.
»Wo ich mich doch so leicht wie eine Feder zu bewegen vermag«,
spottete Abu Dun und schüttelte abermals den Kopf, diesmal so heftig, dass Andrej hastig ein Stück zur Seite rutschte, um sich nicht von
dem losen Ende seines Turbans eine Ohrfeige einzufangen. »Wir
gehen beide, und…«
Er verstummte mitten im Satz, und auch Andrej fuhr erschrocken
zusammen und hielt instinktiv den Atem an, um zu lauschen. Der
Wind hatte ein Geräusch zu ihnen herangetragen, das nicht aus dem
Lager stammte.
»Kamele«, wisperte Abu Dun.
Es wäre nicht nötig gewesen, zu flüstern. Das Geräusch war selbst
für ihre scharfen Ohren kaum wahrnehmbar; seine Quelle musste
noch sehr weit entfernt sein. Trotzdem antwortete Andrej im gleichen, gedämpften Tonfall. »Eine Karawane?«
Abu Dun nickte, zuckte dann mit den Schultern und nickte wieder.
Er sah ratlos aus, fand Andrej.
»Stimmt etwas nicht?«, erkundigte er sich deshalb.
»Nein«, antwortete Abu Dun, gemahnte ihn aber gleichzeitig mit
einer abrupten Handbewegung zum Schweigen, lauschte einen Moment mit schräg gehaltenem Kopf und deutete dann tiefer in die Wüste hinein. Ohne ein weiteres Wort stand er auf und lief geduckt die
Dünen gerade weit genug hinunter, bis er sich aufrichten und ganz
normal gehen konnte, ohne Gefahr zu laufen, von einem aufmerksamen Augenpaar gesehen zu werden. Andrej wusste, dass die Räuber
Wachen aufgestellt hatten, aber sie waren entweder nicht sonderlich
gut darin oder sich ihrer Sache sehr sicher. Selbst weit weniger geschickten Männern, als Abu Dun und er es waren, wäre es leicht gefallen, sich an ihnen vorbeizuschleichen. Der Nubier und er hatten
den Geruch der Wachtposten wahrgenommen, lange bevor sie auch
nur in deren Sichtweite gekommen waren. Dennoch hatte Andrej es
sich schon vor langer Zeit zur Maxime gemacht, lieber hundertmal
zu vorsichtig als ein einziges Mal zu leichtsinnig zu sein, eine Angewohnheit, die ihnen beiden schon des Öfteren den Hals gerettet
hatte.
Der Wind drehte, und die Geräusche wurden nun deutlicher. Andrej
hörte Schritte, das Rascheln von Stoff und das Knarren von Leder,
die typischen Laute, mit denen Waffen über Stoff oder Harnische
scheuerten, das schwere Stampfen von Kamelen und dann und wann
ein unwilliges Blöken, geflüsterte Stimmen, dazwischen aber auch
das Knallen einer Peitsche, das Klirren von Ketten und ein leises,
aber anhaltendes Wehklagen und Wimmern. Er tauschte einen beunruhigten Blick mit Abu Dun, erntete aber nur ein Achselzucken und
ein grimmiges Lächeln, das ihm verriet, dass sich die Gedanken des
Nubiers wohl auf ganz ähnlichen Pfaden bewegten wie seine eigenen.
Sie
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