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Die Verfluchten

Die Verfluchten

Titel: Die Verfluchten
Autoren: Wolfgang Hohlbein
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mussten nicht allzu weit gehen. Nach kurzer Zeit blieb Abu
Dun stehen, duckte sich leicht und deutete zugleich mit dem linken
Arm nach vorn. Andrejs Blick folgte der Geste. Obwohl der Nachthimmel nahezu vollkommen schwarz war, konnte er die Silhouette
des Reiters, der sich ihnen auf dem Dünenkamm näherte, doch deutlich ausmachen. Instinktiv wollte er sich noch weiter ducken und ein
Versteck suchen, dann machte er sich klar, dass der Fremde, der
schließlich nur normale, menschliche Augen hatte, sie unmöglich
sehen konnte.
Sehr viel Zeit blieb ihnen allerdings trotzdem nicht. Das Pferd kam
zwar nicht im Galopp näher, wohl aber in einem raschen Trab.
Andrej überlegte noch, was zu tun sei, als Abu Dun bereits handelte. Mit einem gewaltigen Satz sprang er über den Dünenkamm hinweg und auf der anderen Seite gute drei oder vier Meter weit hinunter, bevor seine Füße den Sand wieder berührten.
Jedem anderen wäre dieser beeindruckende Sprung wohl wie Prahlerei erschienen, aber Andrej war klar, warum Abu Dun das getan
hatte. Trotz oder vielleicht gerade wegen der fast vollkommenen
Dunkelheit schien der Sand rings um sie herum unnatürlich hell zu
schimmern. In den riesigen Wogen, die der Wind aufgetürmt hatte,
waren kleinere Wellen, ein gleichmäßiges Muster, das einem die
Sinne verwirrte, wenn man den Fehler beging, zu lange hinzusehen.
Der Mann, der ihnen auf dem Dünenkamm entgegengeritten kam,
war zweifellos ein Wächter, der vorausritt.
Andrej fragte sich, warum Abu Dun nicht in die entgegengesetzte
Richtung ausgewichen war, schob diese Frage aber auf, bis er den
Nubier eingeholt hatte und sie ihm selbst stellen konnte, und folgte
ihm auf dieselbe Weise.
Wenigstens versuchte er es. Sein Sprung war womöglich eleganter,
aber nicht ganz so kraftvoll wie der Abu Duns. Einen guten Meter
oberhalb der Stelle, an der die Füße des Nubiers den Sand aufgewühlt hatten, prallte er auf und verlor zu allem Überfluss auch noch
das Gleichgewicht, sodass er nicht weiterlief, sondern mit wirbelnden Armen hilflos nach vorn kippte und in einer Lawine aus feinem
Sand die Düne hinunterschlitterte. Lautlos fluchend richtete er sich
auf, spuckte Sand und war schon wieder so gut wie blind. Das Erste,
was er erblickte, als er wieder einigermaßen sehen konnte, war Abu
Duns schadenfrohes Grinsen.
Der Nubier hockte neben ihm auf einem Knie und schien alle Mühe
zu haben, nicht vor Lachen laut herauszuplatzen, bedeutete Andrej
aber dennoch zugleich mit einer sehr hastigen Geste, still zu sein.
Andrej verfluchte sich für seine Ungeschicklichkeit. Normalerweise
war es Abu Dun, der sich wie der sprichwörtliche Elefant im Porzellanladen benahm und er, Andrej, derjenige, der sich darüber nach
Kräften lustig machte. Sein kleines Missgeschick würde ihm der Nubier wahrscheinlich noch in drei Jahren vorhalten, dachte er übellaunig. Oder auch in dreihundert.
Abermals sah er in die Richtung, aus der der Reiter näher kam.
Andrej konnte das weiche Geräusch hören, das die Hufe seines Pferdes auf dem Sand verursachten. War er schneller geworden?
Mit klopfendem Herzen sah er zu der Stelle hin, an der er gestürzt
war. Für seine scharfen Augen war die breite Spur, die er in den Sand
gegraben hatte, unübersehbar, ebenso wie für die Abu Duns. Andrej
fragte sich, ob der Reiter dort oben sie ebenfalls sehen konnte, kam
aber zu keinem Ergebnis. Es war einfach zu lange her, dass seine
Augen die Sehkraft eines normalen Sterblichen gehabt hatten.
Er versuchte sich damit zu trösten, dass der Mann gar keinen Grund
hatte, die Flanken der Düne aufmerksam abzusuchen, und drehte sich
wieder zu Abu Dun um. Der Nubier hockte noch in der gleichen Haltung da, hatte aber den Kopf gedreht und sah konzentriert in die
Richtung, aus der sich der Kamelreiter näherte. Andrej tat dasselbe,
jedoch nicht, ohne die mindestens zwanzig Meter hohe Barriere hinter ihnen noch einmal mit aufmerksamen Blicken abgetastet zu haben. Das Dünental und der allergrößte Teil seiner Wände lagen in
vollkommener Dunkelheit da. In ihrer dunklen Kleidung mussten sie
für den Mann dort oben vollkommen unsichtbar sein.
»Was hast du?«, flüsterte er.
Obwohl er so leise gesprochen hatte, dass sich der Klang seiner
Stimme schon nach wenigen Schritten verlieren musste, hob Abu
Dun abwehrend die Hand und machte eine fast erschrockene Bewegung. »Still!«, zischte er - weitaus lauter als Andrej.
Andrej gehorchte und konzentrierte sich ganz
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