Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Die Verfluchten

Die Verfluchten

Titel: Die Verfluchten
Autoren: Wolfgang Hohlbein
Vom Netzwerk:

Nicht wenige der letzten Pharaonen waren Nubier.«
»Dann verstehe ich auch, warum das Ägyptische Reich untergegangen ist.« Andrej bedauerte die Worte fast augenblicklich. So albern Abu Dun am Mittag noch gewesen war, so gering schien sein
Sinn für Humor jetzt zu sein. In dem Blick, mit dem er Andrej maß,
funkelte etwas, was an Mordlust grenzte. Vielleicht hauptsächlich
um Abu Dun wieder zu besänftigen, fügte er mit einer wedelnden
Handbewegung auf das sonderbare Gebilde unter ihnen hinzu: »Es
sieht nicht aus wie etwas, das Menschen gebaut haben.«
Abu Duns Blick wurde lauernd, aber schließlich gab er sich widerwillig mit dieser Wendung zufrieden, obwohl er sie zweifellos als die
Ausflucht erkannt hatte, die sie war. »Khamsin«, sagte er.
Andrej starrte ihn an. »Ach so«, murmelte er. »Warum hast du das
nicht gleich gesagt, oh weiser Mann aus dem Morgenland?«
Abu Duns Blick wurde eher noch finsterer. »Du hast noch nie einen
Wüstensturm erlebt, wie?«, fragte er und beantwortete seine Frage
gleich mit einem heftigen Kopfschütteln. »Ein Khamsin ist nicht mit
dem lauen Lüftchen zu vergleichen, von denen ihr in eurer Heimat
behauptet, es seien Stürme.«
»Weil ja hier alles besser und größer und gewaltiger ist«, konterte
Andrej. Doch Abu Dun blieb ernst.
»Du hast noch nie einen Khamsin erlebt«, wiederholte er. »Es ist
tatsächlich kein Sturm, wie du ihn kennst. Der Wind türmt den Sand
bis zum Himmel auf. Er ist heiß, und wenn du nicht erstickst oder
erschlagen wirst, dann reißt er dir das Fleisch von den Knochen.
Manchmal«, sagte er mit einer erklärenden Geste auf die sonderbar
weichen Konturen und Linien der angeblichen Nubierfestung unten
im Tal, »bieten nicht einmal so dicke Mauern Schutz.«
Andrej blickte weiter skeptisch. Schließlich kannte er den Hang des
Freundes zum Übertreiben, doch Abu Dun nickte noch einmal bekräftigend. Dann sagte er: »Also, wie gehen wir vor? Stürmen wir
hinein, erschlagen alle und nehmen uns dann, was wir brauchen, oder
nehmen wir uns erst, was wir brauchen, und erschlagen dann alle?«
Andrej lächelte zwar matt, aber er verstand durchaus, was Abu Dun
meinte. Ganz gleich, ob ausschließlich von Menschenhand erschaffen oder von einer Laune der Natur aufgeworfen, das Gebilde dort
unten war riesig. Zwischen den verfallenen Mauern mit ihren sonderbar weichen Kanten und den Resten bizarr geformter Türme und
Torbögen brannten zahlreiche Feuer. Manchmal trug der Wind ein
dumpfes Stimmengemurmel zu ihnen herauf; Lachen, das Wiehern
von Pferden und das dunklere, lang anhaltende Blöken eines Kamels.
In dieser verfallenen Festung mussten sich Dutzende von Männern
aufhalten, wenn nicht Hunderte. Selbst für Abu Dun und ihn waren
das zu viele, um einfach hineinzuspazieren und sich zu nehmen, was
sie brauchten. Außerdem, brachte er sich mit einem heftigen Gefühl
schlechten Gewissens in Erinnerung, waren sie nicht hierher gekommen, um ein Blutbad anzurichten. Selbst, wenn es wirklich die
Räuberbande war, von der ihnen der Händler in der Karawanserei
berichtet hatte, und jeder einzelne dieser Männer den Tod verdiente,
ging sie das nichts an.
Nach einer Weile schien Abu Dun seines Zögerns überdrüssig zu
werden. »Ich könnte warten, bis sie eingeschlafen sind«, schlug er
vor, »und mich dann hinunterschleichen.«
»Um lautlos wie ein Schatten ins Lager einzudringen und zwei
Pferde samt Wasser und Nahrung zu stehlen und zurückzukommen,
ohne dass jemand das merkt?«, gab Andrej spöttisch zurück. Beim
bloßen Anblick des Nubiers, der selbst ohne seinen gewaltigen Turban gut zwei Meter groß und breitschultrig genug war, dass sich ein
normal gewachsener Mann ohne Mühe hinter ihm verstecken konnte,
hatte diese Vorstellung schon etwas Lächerliches; obwohl er natürlich wusste, dass Abu Dun sehr wohl dazu imstande war, sich mit
einer für einen Mann seiner Statur und Massigkeit schon geradezu
unheimlichen Eleganz zu bewegen.
Aber das dort unten war keine Hafenkneipe voller Betrunkener, in
die er sich hineinschleichen und mit ein wenig Glück erwarten konnte, auch ungesehen wieder herauszukommen. Andrej hatte an genügend Feldzügen teilgenommen, um zu wissen, dass sie auf nichts
anderes als ein Heerlager hinabstarrten. Und ein solches Lager
schlief nie. Außerdem waren die meisten der Räuber, die sie angegriffen hatten, entkommen und mittlerweile zweifellos zurück im
Lager, und wenn schon nicht von ihm, so hatten
Vom Netzwerk:

Weitere Kostenlose Bücher