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Die Verdammnis

Die Verdammnis

Titel: Die Verdammnis
Autoren: Vampira VA
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wieder - und erkannte die Züge als die seinen. Mit einem Unterschied zu früher jedoch: Die wulstige Narbe von der Form eines Kreuzes, die seine Wange verunziert hatte, war verschwunden! Seitdem er im weiteren Verlauf dieses Jahres in Andalusien durch einen Hieb mit einem Kruzifix verletzt worden war, hatte sie sein Gesicht entstellt. Das verhaßte Zeichen hatte sich ihm so tief ins Fleisch gebrannt, daß auch die Selbstheilungskraft der Alten Rasse die Wunde nicht hatte tilgen können.
    Jetzt aber war das Stigma verschwunden.
    Dennoch war es unleugbar sein eigenes Gesicht, das Landru ertastete. Und auch das Haar, im Nacken zu einem kurzen Zopf zusammengefaßt, war ohne Zweifel das seine.
    Wie es angehen konnte, daß er in seinen eigenen Leib hatte zurückgelangen können, darüber vermochte Landru nicht einmal Mutmaßungen anzustellen. Zu sehr stand er unter dem wohltuenden Schock darüber, daß es geschehen war. Und überdies war hier weder Zeit noch der rechte Ort, um darüber nachzusinnen.
    An diesem Ort zählte allein das Handeln, und es mußte schnell gehen!
    Daß es ihn tatsächlich einmal mehr durch die Zeit getrieben hatte, daran zweifelte Landru nicht mehr. Das Szenario ringsum stimmte bis ins Detail mit jenem überein, das er seit dreihundert Jahren in seiner Erinnerung mit sich trug. Der Fels zu seinen Füßen war in Grate und Schollen zerbrochen; gezackte, bodenlose Klüfte trennten sie voneinander. Er wußte, in welche davon er Felidae damals hin-abgestoßen hatte und in die er schließlich selbst hinuntergestiegen war.
    Einen Unterschied zur damaligen Situation gab es jedoch.
    Seinerzeit hatte der Altar mit dem Kelch wie auf einer Insel inmitten des zerklüfteten Bodens gestanden, unberührt von dem Beben. In der Hitze des Kampfes mit Felidae unerreichbar für Landru, weil ihm nicht die Zeit geblieben war, sich in eine Fledermaus zu verwandeln.
    Jetzt aber stand Landru selbst auf dieser Insel.
    Im Schatten des Altars war er »erwacht«.
    Und nun brauchte er nur noch die Hände nach dem Kelch auszustrecken, um - die Welt zu verändern! Um ihre Geschicke wieder im Sinne der Alten Rasse zu lenken! Um alles ungeschehen zu machen, was in der Folge zum Niedergang des Vampirvolkes geführt hatte.
    In den Augen dessen, der nicht wußte, welche Macht dem Kelch innewohnte, mochte er nicht mehr sein als ein Gefäß von eigentümlicher Form, offenbar einer Lilienblüte nachgebildet und aus einem Material bestehend, das sich mit bloßem Blick nicht identifizieren ließ.
    Für Landru indes war der Kelch von erhabener Schönheit.
    Auch während seiner Zeit als Hüter des Grals hatte er sich nie wirklich daran satt sehen können; jedesmal hatte der Anblick des Kelchs von neuem etwas tief in Landru berührt, hatte seine Ehrfurcht vor dem Unheiligtum seines Volkes wachgehalten und ihn der Ehre bewußt gemacht, die es bedeutete, dem Kelch dienen zu dürfen.
    So beeindruckt wie in diesem Moment jedoch war Landru nie zuvor gewesen. Seine Blicke umfingen den rauhen Kelch wie streichelnde Hände, fingen sich für den winzigsten Teil einer Sekunde an jedem einzelnen der Tausenden von Splittern, aus denen er gefertigt schien.
    Eile dich! Dir bleibt kaum mehr Zeit!
    Die Stimme schien tief in Landru zu entstehen. Vielleicht verschaffte sich damit jener kleine Teil seines Bewußtseins Ausdruck, der sich vor der Euphorie in Sicherheit gebracht hatte - als letzter Rest von Vernunft und klarem Denken.
    Seine Hände streckten sich nach dem Kelch, schlossen sich darum, nahmen ihn von jener Stelle des Altars, in die sein Fuß sich paßgenau fügte. Schwer lag der Gral in Landrus Hand, schwerer, als sein Aussehen es vermuten ließ; als würde die im Kelch manifestierte Macht ihm zusätzliches Gewicht verleihen.
    Landrus Blick sank in die Dunkelheit, die den Lilienkelch füllte, ganz in der Art, wie schwarzes Blut ihn bei den Taufen gefüllt hatte - und es fortan wieder tun würde.
    Trotzdem es ihn innerlich zur Eile trieb, verharrte Landru noch für Augenblicke. Einerseits, um die Bedeutung, die Größe des Momentes auszukosten; andererseits, um in Gedankenschnelle Möglichkeiten durchzuspielen, wie nun am klügsten weiter zu verfahren wäre.
    Es taten sich etliche Wege auf. Welchen sollte er begehen? Welche Hindernisse konnten sich ihm stellen, wie waren sie zu umgehen oder zu überwinden?
    Landru wußte, daß es nicht damit getan war, den Kelch einfach wieder an sich zu nehmen und hinauszugehen, um das Werk des Hüters fortzuführen.
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