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Die Verbrechen von Frankfurt. Totenreich

Die Verbrechen von Frankfurt. Totenreich

Titel: Die Verbrechen von Frankfurt. Totenreich
Autoren: Ines Thorn
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heran, dann hob er die Hand und wischte mit dem Finger über Pauls Gesicht. Sein Finger wurde schwarz, und auf Pauls Wange erschien ein heller Streifen. Pater Nau schüttelte den Kopf. «Verstehe einer die Welt», sagte er zu sich. «Aus Weiß wird Schwarz und aus Schwarz wird Weiß, und alles ist durcheinander.»
    Dann schüttelte er noch einmal den Kopf und schlenderte von dannen.
    «Hast du vielleicht so ganz zufällig mal etwas von dem Sarazenen gehört?», fragte Pater Nau seine Schwester, als er wenig später in der Küche saß und ihr beim Kuchenbacken zusah. Seine Hände umfassten einen Becher mit heißem, gewürztem Wein, seine Füße steckten in einem Zuber mit heißem Wasser.
    «Wen meinst du?», fragte Gustelies und knetete mit beiden Händen kraftvoll den Teig. Ihre Wangen färbten sich mit einem Mal rot.
    «Du weißt schon, den Totenleser, der bei Heinz’ letztem Fall, dem Kannibalenfall, dabei war.» Er runzelte die Stirn und blies in seinen Becher. «Hat er dir nicht sogar schöne Augen gemacht?»
    Gustelies wurde noch röter. «Unsinn. In meinem Alter macht kein Mann mir mehr schöne Augen. Von Arvaelo habe ich nichts mehr gehört, seit das Stadttor hinter ihm ins Schloss gefallen ist. Wie kommst du darauf?»
    «Ist mir gerade so eingefallen. Wenn ich gewusst hätte, dass er nicht bleibt, hätte ich ihm noch ein paar Fragen gestellt.»
    «Du? Seit wann interessierst du dich für fremde Menschen? Ich meine, für andere Menschen überhaupt? Normalerweise setzt du keinen Schritt vor die Haustür. Dein größtes Vergnügen ist es, mit Bruder Göck zu streiten und Wein zu trinken. Da fällt mir ein, was hast du heute eigentlich bei den Fleischbänken getrieben?»
    «Ich?» Pater Nau guckte so unschuldig wie ein neugeborenes Kalb. «Nichts weiter. Du täuschst dich nämlich in mir, meine Liebe. Ich interessiere mich sehr wohl für meine Mitmenschen. Nun, und heute wollte ich die Mitglieder unserer Gemeinde mal in ihrem Alltag betrachten.» Er nickte heftig.
    Gustelies verzog den Mund. «Wer’s glaubt, wird selig. Du ergreifst doch schon die Flucht, wenn dich jemand anspricht, den du nicht von Kindesbeinen an kennst. Ich wundere mich ohnehin, dass du alleine den Nachhauseweg gefunden hast. Wann hast du das letzte Mal deinen Fuß auf den Römer gesetzt?»
    Gustelies starrte nachdenklich ins Weite. «Ah, jetzt weiß ich es wieder. Zu den Passionsspielen vor zwei Jahren. Also, was ist jetzt mit Arvaelo?»
    «Nichts weiter. Ich habe mich nur gefragt, ob man dort, wo er herkommt, die Menschen skalpiert.»
    «Skalpiert?»
    «Ja, du weißt schon. Man schneidet ihnen die Kopfhaut ab, aber so, dass die Haare noch dran sind.»
    Gustelies ließ den Teig zurück in die Schüssel fallen. «Hast du schon wieder getrunken?», fragte sie streng.
    Pater Nau schüttelte empört den Kopf.
    «Hauch mich an!», befahl Gustelies.
    Pater Nau tat es.
    «Warum willst du das mit dem Skalpieren wissen?», fragte sie dann.
    «Ach, das ist wegen der Predigt am Sonntag. Ich habe da eine Bibelstelle gefunden, die sich mir nicht erklärt.»
    «Dann frag Bruder Göck.»
    «Das werde ich tun. Gleich heute Nachmittag. Aber vorher wüsste ich gern, was dieser Sarazene dazu gesagt hat. Damit ich nicht gar so dumm vor Bruder Göck dastehe. Das verstehst du doch?»
    «Ja», erwiderte Gustelies. Seit Jahren schon stritten Bruder Göck und Pater Nau über alle möglichen theologischen Angelegenheiten, und Gustelies war kein einziger Fall bekannt, bei dem sie mal einer Meinung gewesen waren. Sie fand, die beiden führten sich auf wie zwei Krieger in einer Schlacht. Ständig waren sie bemüht, einander bei einer Unwissenheit zu ertappen.
    «Wir haben nicht über das Skalpieren gesprochen», erklärte sie. «Warum auch? Der angebliche Kannibale hatte ja nur die Glieder und den Kopf vom Rumpf getrennt. Nur einmal, ich erinnere mich, es war im Garten von Hella und Heinz, da hielt Arvaelo einen Vortrag über Blut. Ja, und dabei erwähnte er ein Vorkommnis. Ein Mann war mit seinem Haar in eine Winde geraten. Ein Stück Kopfhaut war dabei abgerissen, und Arvaelo war es nur mit Mühe gelungen, die Blutung zu stillen. Der Kopf, hatte er erklärt, blutet nämlich unwahrscheinlich stark.»
    «Hat er überlebt?»
    «Arvaelo?»
    «Unfug. Der Mann mit der Winde.»
    Gustelies zuckte mit den Achseln. «Ich habe keine Ahnung. Es ging damals darum, welche Form die Blutspritzer haben, wenn sie auf die Erde treffen.»
    «Aha.»
    Pater Nau versank in Schweigen.
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