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Die Verbrechen von Frankfurt. Totenreich

Die Verbrechen von Frankfurt. Totenreich

Titel: Die Verbrechen von Frankfurt. Totenreich
Autoren: Ines Thorn
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kam?
    Warum hat man mich auf den Schoß gesetzt? Warum bin ich mit Brüsten gesäugt?
    So läge ich doch nun und wäre still, schliefe und hätte Ruhe
    mit den Königen und Ratsherren auf Erden, die das Wüste bauen,
    oder mit den Fürsten, die Gold haben und deren Häuser voll Silber sind.
    Oder wie eine unzeitige Geburt, die man verborgen hat, wäre ich gar nicht, wie Kinder, die das Licht nie gesehen haben.
    Daselbst müssen doch aufhören die Gottlosen mit Toben; daselbst ruhen doch, die viel Mühe gehabt haben.
    Da haben doch miteinander Frieden die Gefangenen und hören nicht die Stimme des Drängers.
    Da sind beide, klein und groß, und der Knecht ist frei von seinem Herrn.»
    «Was? Was sagt Ihr da? Das kenne ich doch. Es stammt aus der Bibel. Altes Testament, wenn mich nicht alles täuscht. Was wollt Ihr damit sagen?», fragte der Pater.
    Doch statt einer Antwort hörte Pater Nau, wie neben ihm der Jemand aus dem Beichtstuhl schlüpfte. Doch ehe Nau seine Schuhe gefunden hatte und aus dem Beichtstuhl hervorlugen konnte, hörte er schon die schwere Kirchentür ins Schloss schlagen.
    «Merkwürdig», murmelte er. «Kommt zur Beichte und rezitiert die Bibel. Wenn mir nur einfiele, wo diese dunklen Worte stehen! Na ja, der Sünder wird schon wissen, was er meint. Ist es meine Aufgabe, die Schrift zu deuten? Nein, das ist es nicht, dafür bin ich nicht gelehrt genug. Und nun endlich raus hier, sonst erstarre ich noch zu Eis.»
    Pater Nau blies warmen Atem in seine eiskalten Hände, schob die Klappe nach unten, löschte die Kerze und verließ den Beichtstuhl. Dann ging er nach nebenan, um auch dort die Kerze zu löschen. Er öffnete die Tür – und prallte zurück. Auf der Sünderbank lag ein blutiges Stück Haut, und an dem Stück hing langes, blutverschmiertes blondes Haar.
    Gern hätte der Pater aufgeschrien, doch seine Kehle war wie zugeschnürt. Er starrte auf den Skalp, unfähig, sich zu rühren. «Ich brauche Branntwein», flüsterte er. «Sehr viel Branntwein.» Dann sackten ihm die Knie weg.
    Als er wieder zu sich kam, wusste er sofort, was geschehen war. Er rappelte sich auf, sah sich in seiner Kirche um. Alles war still. Vorsichtig und dabei nach Luft schnappend, öffnete er erneut die Tür zur Beichtkammer. Er hoffte, die Sünderbank wäre leer, alles nur ein böser Spuk gewesen, doch da lag noch immer das schwartige Stück Kopfhaut mit den langen Haaren daran.
    Augenblicklich wurde ihm wieder schlecht, doch dieses Mal riss sich der Pater zusammen. Ganz tief atmete er ein und wieder
     aus, presste eine Hand auf sein rasendes Herz.
    Vorsichtig trat er einen Schritt näher, doch er konnte den Anblick des Skalps wirklich nicht ertragen. Er dachte daran, ins Pfarrhaus zu laufen und seine Schwester und Haushälterin Gustelies zu rufen. Er wollte nach dem Kirchendiener schreien, nach dem Schultheiß, dem Bischof, dem lieben Gott, doch nichts davon tat er.
    Wie gelähmt blieb Pater Nau stehen, rang nach Luft und starrte auf das Ding im Beichtstuhl. Dann schloss er die Augen, zählte in Gedanken die Becher Wein, die er heute schon getrunken hatte, und öffnete vorsichtig das linke Auge. Die Kopfschwarte lag noch immer da. Und sie konnte dort unmöglich liegen bleiben.
    Dieser Gedanke verursachte ihm einen solchen Schwindel, dass er mit hastigen, wankenden Schritten in die Sakristei eilte. Dort griff er ohne nachzudenken nach der Kanne mit dem Messwein, goss sich den Abendmahlspokal voll und trank ihn in einem Atemzug aus. Er spürte, wie der Wein ihn ein wenig beruhigte, doch noch immer lag der Skalp dort draußen, und Pater Nau schüttelte es. Also goss er sich den Pokal noch einmal voll und noch einmal. Allmählich ging es ihm besser.
    Mit einer Hand angelte er nach der Kanne und äugte hinein, doch das Gefäß entglitt seiner Hand, fiel auf den Boden und ergoss seinen Inhalt über die Steinfliesen.
    Gustelies wird mir die Hölle heißmachen, wenn sie die Schweinerei hier sieht, dachte der Pater und brach in aufgeregtes Gelächter aus. Dann überkam ihn eine solche Müdigkeit, dass er den Kopf auf die Brust sinken ließ und wenige Augenblicke später eingeschlafen war.
    Er träumte davon, ein ganzes Fass Wein zu bekommen. Das Fass kam vom Weingut Burg aus Dellenhofen und enthielt einen so köstlichen Spätburgunder, dass ihm nur beim Anblick schon das Wasser im Munde zusammenlief. Da erschien ein Schatten hinter dem Fass. Der Schattengeist befahl Pater Nau, den Wein ins Taufbecken zu gießen. Und als der
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