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Die Verbrechen von Frankfurt. Totenreich

Die Verbrechen von Frankfurt. Totenreich

Titel: Die Verbrechen von Frankfurt. Totenreich
Autoren: Ines Thorn
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dass mit dem Alter alles einfacher wird. Ich habe gedacht, mit vierzig fände man sich in der Welt zurecht. Keine Fragen mehr, dafür reichlich Antworten. Keine Irrtümer mehr, keine falschen Hoffnungen. Jetzt bin ich über vierzig und muss feststellen, dass sich eigentlich nichts geändert hat. Außer meiner Haut. Und meinen Knochen. Die schmerzen schon beim Aufstehen. Weißt du, was das ist, das Alter?»
    Jutta zuckte mit den Achseln.
    «Das Alter ist teuer und kostet viel Zeit. Was habe ich schon Geld ausgegeben für Haarwuchsmittel und Salben, für Schminke und Hauben, die so viel Stoff haben, dass sie meine Stirnfalten überdecken. Früher bin ich aufgestanden, habe mir eine Handvoll Wasser ins Gesicht geschüttet und war schön. Heute brauche ich erst einmal Kamillensud für die geschwollenen Augen, eine Essigspülung für mein Haar und eine Kampfersalbe für die Beine.» Sie schüttelte den Kopf. «Glaub mir, Jutta, das hatte ich mir wirklich anders vorgestellt.»
    Die Freundin nickte nachdenklich. «Mir geht es ähnlich. Seit neuestem kann ich den linken Arm nicht mehr über den Kopf heben, weil er so schmerzt. Und mein Haar wird so grau, dass ich eine Glatze hätte, würde ich mir jedes Graue ausrupfen.» Sie beugte sich nahe zu Gustelies hinüber und raunte: «Stelle dir vor, wenn ich einmal rennen muss, dann schaukeln die Innenseiten meiner Oberschenkel im Takt. Brrr.»
    Eine kleine Weile saßen die Frauen schweigend da, dann stand Jutta auf, zog eine Schublade hervor und entnahm ihr einen winzigen Tiegel.
    «Hier», sagte sie. «Das zeige ich dir nur, weil du meine beste Freundin bist. Ich hoffe, du weißt das zu schätzen.»
    «Was ist das?» Gustelies öffnete das Tiegelchen, betrachtete die hellrote Paste darin und roch sogar daran. «Mhm, lecker. Es riecht so gut, dass ich direkt Lust habe, hineinzubeißen. Irgendwie erinnert mich der Geruch an die Weihnachtsplätzchen von Klärchen Gaube, du weißt schon, der guten Haut. Aber natürlich habe ich kein Wort gesagt. Also, was ist das?»
    «Wenn du mich zu Wort kommen lässt, dann erfährst du es. Mein Jungbrunnen. Du hast ja selbst gesagt, meinem Gesicht hätte der Winter dieses Mal nichts anhaben können.»
    «Eine Zaubersalbe?»
    Jutta nickte bedeutsam.
    «Wo hast du sie her? Los, sag schon.»
    Jutta sah sich nach allen Seiten um, doch die Wechselstube war so leer wie zuvor. «Es gibt da jemanden in der Vorstadt, der verkauft diese Salben.»
    «Aha. Und was ist da drinnen?»
    Jutta zuckte mit den Achseln. «Ich glaube, das will ich gar nicht wissen. Jemand hat erzählt, das Rote wäre das erste Mondblut einer Jungfrau. Darin wären die Wirkstoffe für glatte Haut enthalten. Aber ob das stimmt?»
    «Egal», bestimmte Gustelies. «Hauptsache, es hilft. Kannst du mir einen solchen Zaubertiegel beschaffen?»
    «Kann ich. Aber ich sage dir gleich, billig ist er nicht.»
    «Wie viel?»
    «Ein halber Gulden.»
    «Nein! Dafür kriege ich ja beim Schlachter ein Achtel von einem Schwein.»
    «Tja, alles ist teurer geworden.»
    «Das ist wahr», bestätigte Gustelies. «Seitdem der Kaiser für seinen Krieg gegen die Türken vierzig Reiter, fast dreihundert Fußknechte und ein paar Büchsenmeister aus Frankfurt abgezogen hat, gibt es kaum noch Männer, die sich um das tägliche Brot kümmern. Weißt du, was die Käsefrau heute für eine Kanne verdünnte Milch haben wollte? Zehn Pfennige! Wenn das so weitergeht, weiß ich nicht, wie ich meinen Pater satt kriegen soll. Ich habe schon daran gedacht, meinen Käse selbst herzustellen. Ach, es ist wirklich ein Jammer.»
    Jutta lachte. «Du hörst dich schon an wie dein Bruder. Was ist nun? Willst du die Salbe, obwohl sie so teuer ist?»
    «Egal», wiederholte Gustelies. «Ich sagte ja schon, das Alter ist teuer und kostet viel Zeit. Bring mir so ein Tiegelchen.»
    «Gut. Dann komm am Freitag wieder, ich denke, bis dahin habe ich die Salbe. Und jetzt nimm dir einstweilen von meiner.»
    Lächelnd griff Gustelies in das Tiegelchen und strich sich großzügig das Wundermittel auf die Wangen.

[zur Inhaltsübersicht]
Kapitel 3
    P ater Nau fror schon wieder. Außerdem drückten seine neuen Schuhe so sehr, dass jeder Schritt schmerzte.
    Er fluchte leise vor sich und zog seinen Umhang fester um sich. Er hatte denkbar schlechte Laune, denn er verabscheute es, sein geliebtes Pfarrhaus zu verlassen. Die Stadt war ihm zu laut, die Menschen rücksichtslos. Sie rempelten und schrien, sie fluchten und drängelten. Außerdem konnte
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