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Die Verbrechen von Frankfurt. Totenreich

Die Verbrechen von Frankfurt. Totenreich

Titel: Die Verbrechen von Frankfurt. Totenreich
Autoren: Ines Thorn
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«Warum bedauert jemand, geboren zu sein? Weißt du das etwa, schlauer Antoniter?»
    «Lass mich nachdenken. Wenn ich krank bin und unter schrecklichem Husten leide, dazu vielleicht noch Schnupfen habe, Gliederschmerzen und Ohrenweh, ja, dann bedaure ich schon mal, geboren zu sein. Oder besser gesagt: Dann wünsche ich mir den Tod herbei.»
    Pater Nau nickte verständnisvoll. «Ja, eine Erkältung ist etwas wirklich Schreckliches. Aber es geht nicht darum, sich den Tod zu wünschen, sondern das eigene Leben zu verfluchen. Deine Erklärung taugt in diesem Falle nichts, mein Lieber.»
    Bruder Göck stopfte nachdenklich ein weiteres Plätzchen in sich hinein.
    «Mach nicht so viele Krümel», schimpfte Pater Nau. «Gustelies reißt mir den Kopf ab, wenn sie schon wieder meine Stube fegen muss.»
    «Lass mich mit deinen Krümeln zufrieden, ich habe Wichtiges zu bedenken. Also: Wenn ich wünsche, nicht geboren zu sein, dann heißt das, dass mein Leben anders verläuft oder verlaufen ist, als ich mir das gewünscht habe.»
    «Klingt einleuchtend.»
    «Zum Beispiel», führte Bruder Göck aus, «wenn eine große Schuld auf mir lastet, wenn ich vielleicht eine Todsünde begangen habe, oder wenn meine Hoffnungen sich ins Gegenteil verkehrt haben.»
    «Oder!» Pater Nau reckte seinen rechten Zeigefinger in die Höhe. «Wenn ich Gott nicht verstanden habe.»
    «Ach was.» Bruder Göck winkte ab. «Das tun die allermeisten Menschen nicht, und viele davon merken es noch nicht einmal.»
    Pater Nau hatte schon den Mund zu einer Erwiderung geöffnet, da wurde die Tür aufgerissen. Gustelies stand mit hochroten Wangen auf der Schwelle. «Habt Ihr ein Klopfen überhört?», wollte sie wissen.
    «Stör uns nicht, wir jagen gerade einer interessanten theologischen Frage nach», erwiderte Pater Nau.
    «Nun, die Jagd kann wohl noch ein paar Augenblicke warten. Ich will jetzt wissen, ob ihr ein Klopfen gehört habt, denn ich brauche unbedingt frische Seife.»
    Bruder Göck blickte Gustelies verdutzt an. «Seife?»
    «Ja. Seife. Die Magd des Seifenmachers wollte kommen, um sie mir zu bringen. Aber bisher war sie nicht da. Ich war kurz im Garten und kann mir gut vorstellen, dass ihr beiden Jäger das Klopfen überhört habt.»
    Bruder Göck und Pater Nau sahen sich an, dann schüttelten sie den Kopf.
    «Wozu in aller Welt taugen eure Dispute, wenn sie mich um meine Seife bringen?», fragte Gustelies und knallte die Tür hinter sich zu.
     
    Kurze Zeit später eilte sie, bewaffnet mit einem Weidenkorb über dem Arm, durch die Stadt. Noch immer war es kalt, doch das Eis auf den Gassen begann allmählich zu tauen, der Schnee hatte sich in braunen Matsch verwandelt.
    «Iiih!», schrie Gustelies auf, als ein Lehrjunge an ihr vorüberrannte und Matsch hinter ihm aufspritzte, der natürlich auf Gustelies’ Rocksaum ein neues Zuhause fand. «Kannst du denn nicht aufpassen, Bengel?»
    Sie war schlecht gelaunt. Heute Morgen auf dem Markt hatte sie festgestellt, dass die Preise weiter gestiegen waren. In der letzten Woche hatte sie noch einen ganzen Hasen für das Geld bekommen, das heute nicht einmal mehr für eine Hasenkeule gelangt hatte. Wenn das so weitergeht, dachte sie, und der Rat dem Wucher nicht endlich Einhalt gebietet, so werde ich mich noch selbst auf die Lauer legen müssen. Bei diesem Gedanken stahl sich ein Lächeln auf ihr Gesicht. Ihr Verhältnis zu den wilden Kaninchen war seit jeher angespannt, doch seitdem sich die Vierbeiner über ihre frischen Pflänzchen hermachten und sogar die Büsche benagten, herrschte zwischen Gustelies und den Kaninchen ein erbitterter Krieg im Pfarrgarten.
    Und nun hatten diese beiden Geistlichen, mit denen ohnehin nichts Gescheites anzufangen war, auch noch die Seifenmagd verpasst, sodass Gustelies sich höchstselbst in die Siedergasse aufmachen musste.
    Ihr Rock war bis zu den Knien beschmutzt, als sie endlich dort anlangte. Missmutig hämmerte sie an die Tür. Die Frau des Seifensieders öffnete ihr. «Gott zum Gruße, Kurzwegin. Was führt Euch zu uns?»
    «Seife, was denn sonst?», antwortete Gustelies bissig. «Eure Magd sollte heute kommen, aber Pater Nau hat wohl ihr Klopfen überhört. Deshalb bin ich nun da.»
    «Ach?» Die Frau des Seifensieders legte aufmerksam den Kopf schief. «Bei Euch war sie, die Lilo?»
    «Wieso?», fragte Gustelies zurück. «So war es doch ausgemacht, oder nicht?»
    Die Seifensiederin sah sich um, winkte einer Nachbarin zu, die aus dem Fenster lehnte. «Kommt lieber
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