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Die Verbrechen von Frankfurt. Totenreich

Die Verbrechen von Frankfurt. Totenreich

Titel: Die Verbrechen von Frankfurt. Totenreich
Autoren: Ines Thorn
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Trübsinnig starrte er in seinen Becher.
    Gustelies hatte mittlerweile einen Kessel aufs Herdfeuer gesetzt. Sie nahm eine Handvoll Kräuter aus einem Leinensäckchen und streute sie in den Kessel.
    «Das riecht nach Kamille», stellte Pater Nau fest. «Kochst du einen Sud davon? Ich hätte auch gern einen Becher.»
    Gustelies verdrehte die Augen. «Nein, das ist kein Sud zum Trinken. Das ist eine Kamillenspülung für mein Haar.»
    «Für dein Haar? Ist es etwa erkältet?»
    Gustelies drehte sich zu ihrem Bruder herum und stemmte die Fäuste in die Hüften. «Willst du nicht in deine Studierstube gehen und dort ein bisschen nachdenken?»
    Der Pater schüttelte den Kopf und zeigte mit dem Finger auf den Kessel. «Kamille für die Haare?», fragte er wieder.
    «Ja, Herr im Himmel. Frauen tun das manchmal. Sie spülen ihr Haar mit Kamille, damit es glänzt.»
    Pater Nau machte große Augen. «Wozu das denn?»
    «Das geht dich nichts an, mein Lieber. Kümmere du dich um deine Predigt.»
    Pater Nau stand auf, starrte nachdenklich vor sich hin, dann ließ er sich schwer zurück auf die Küchenbank fallen. «Sind Haare wichtig?», fragte er. «Ich meine, haben Haare eine Bedeutung? Ändert sich was, wenn man keine Haare mehr hat?»
    Gustelies seufzte nachhaltig. «Bei Samson steckte die Kraft in den Haaren. Als Delilah sie ihm nahm, war er schwach. Bei Frauen ist das ein bisschen anders. Das Haar ist ein Schmuck, verstehst du, ein Zeichen für ihre Weiblichkeit. Deshalb gilt das Kahlscheren auch als Strafe. Mit Ehebrecherinnen tut man so etwas. Sie werden ihrer Schönheit beraubt. Als Strafe für den Ehebruch.»
    «Das Haar als Zeichen der Weiblichkeit?» Pater Nau zog die Stirne kraus.
    «Natürlich. Deshalb muss eine verheiratete Frau ja auch ihr Haar unter einer Haube verbergen. Nur ihr Mann darf sie noch in ihrer ganzen Pracht sehen. Die jungen Mädchen dagegen zeigen, was sie haben. Sie bürsten ihr Haar, bringen es zum Glänzen, um den Burschen zu gefallen.»
    «Ich verstehe. Also hätte eine glatzköpfige Frau es schwer, jemanden zu finden, der sie heiratet.»
    «Genau so ist es, mein Lieber. Und jetzt geh und stör mich nicht weiter. Gleich kommt die Magd vom Seifenmacher und bringt mir neue Ware. Und dann, mein Lieber, mache ich dir heute Abend ein schönes heißes Bad mit frischer Seife.»
    «Auch das noch», stöhnte der Mann und schlich sich von dannen.

[zur Inhaltsübersicht]
Kapitel 4
    W arum bin ich nicht gestorben von Mutterleib an?
    Warum bin ich nicht verschieden, da ich aus dem Leibe kam?», zitierte Pater Nau.
    Bruder Göck verzog den Mund. «Buch Hiob», erklärte er. «Wenn mich nicht alles täuscht, Kapitel drei.»
    «Hiob?»
    Bruder Göcks Blicke irrten in der Studierstube umher. «Hat Gustelies heute keine Plätzchen gebacken? Oder hast du sie wieder versteckt, um mir nichts davon abgeben zu müssen?»
    «Hiob?», wiederholte Pater Nau und schlug sich mit der flachen Hand gegen die Stirn. «Natürlich! Hiob.»
    «Sag mal, was redest du da eigentlich?», wollte Bruder Göck wissen. Er war aufgestanden und hatte eine Schublade aufgezogen. «Ah, wusste ich es doch!», sagte er und holte ein Kästchen mit Gebäck hervor, öffnete es und steckte sich ein Stück in den Mund.
    «Was hast du denn bloß mit Hiob?», fragte er kauend.
    «Ach, die nächste Predigt, weißt du. Ich denke darüber nach, wie es ist, wenn man alles hat und der Herr es plötzlich und scheinbar ohne Grund wieder nimmt.»
    «So. Und was soll das bringen? Was willst du deiner Gemeinde damit sagen?»
    «Das weiß ich noch nicht», bekannte Pater Nau. «Im Augenblick stelle ich mir nur vor, wie das wohl sein mag.»
    «Da musst du nicht selber denken, das kannst du alles in der Bibel nachlesen.»
    «Ich will mir aber meine eigenen Gedanken dazu machen. Also, Bruder Göck, wie könnte so etwas sein?»
    Der Antoniter goss Wein in seinen Becher. «Traurig. Sehr traurig. Ich glaube, die gesamte Hiobsgeschichte ist zu viel für eine Predigt. Wir haben im Kloster mal ein ganzes Jahr damit verbracht. Nimm dir einen Vers vor und rede darüber. Das ist schon mehr, als mancher an einem Sonntagmorgen verkraften kann. Gib mal die Bibel her.»
    Bruder Göck schlug das in Leder gebundene Buch auf. «Hier ist es», sagte er und las. «Das dritte Kapitel handelt davon, dass jemand bedauert, geboren zu sein. Er empfindet das Leben als Fron, den Tod dagegen als Freiheit. Reicht das nicht aus?»
    «Er bedauert, geboren zu sein», wiederholte Pater Nau.
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