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Die verbotene Pforte

Die verbotene Pforte

Titel: Die verbotene Pforte
Autoren: Nina Blazon
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dafür hatte er sie gebastelt. Tobbs hatte nicht viel, was er verschenken konnte, aber in diesen Figuren steckte unendlich viel Sorgfalt, Bangen, Sehnsucht und Hoffnung, kurz: sein ganzes Leben. Die hölzerne Familie war sein kostbarster Schatz. Aber was, wenn seine richtige Familie endlich käme und er würde gerade im Jumasa-Meer schwimmen oder bei den Sylvaniern durch die Wälder streifen?
    »Eines Tages werde ich mir alle Länder ansehen«, murmelte er. »Aber nicht jetzt. Und nun komm endlich, lass uns reingehen.«
    Sid lächelte verschmitzt. »Warum so eilig? Solange wir hier sind, verlieren wir in der Taverne doch kaum Zeit. Dir gefällt die Kutsche doch auch, stimmt’s?«
    Tobbs seufzte sehnsüchtig. »Klar doch«, gab er zu. »Das ist der beste, schnellste und wendigste Wagen, den es gibt. Dopoulos sagt, Kali kann damit sogar fliegen. Das Gefährt ist aus dem Holz einer sehr seltenen Schweb-Eiche gemacht.«
    Sid pfiff durch die Zähne. »Mein Onkel hat auch fliegende Kutschen, aber die werden nur von menschenfressenden Mauleseln gezogen.« Eifrig streifte er seinen Ärmel zurück und deutete auf eine rote Narbe. »Da, siehst du? Als ich ganz klein war, habe ich versucht, auf einem von ihnen zu reiten.«
    »Und seitdem traust du dich wohl nicht mehr an sie heran?«
    Sid wurde ernst und richtete sich so gerade auf, dass er Tobbs’ Schulter sogar ein wenig überragte. »Im Gegenteil«, sagte er. »Ich bin jetzt schon Herr über dreißig Legionen.«
    »Aha. Du kannst also mit einem Wagen umgehen?«
    »Willst du es sehen?«
    »Du meinst … mit dem Mancor?« Jetzt war es an Tobbs, den kleinen Dämon auszulachen. Doch statt beleidigt zu sein, schritt Sid geradewegs zurück zum Mancor. Tobbs blickte ihm mit einem flauen Gefühl in der Magengrube nach.
    »Sid!«, rief er leise. »Ist gut, ich glaube dir ja! Und jetzt lass den Unfug!«
    Doch das Dämonenkind war schon um die Ecke verschwunden. Ein Poltern erklang, gefolgt von stampfenden Schritten. Kutschräder rollten über den Boden – dann erschien Sid mit dem Mancor im Schlepptau. Neben dem Untier wirkte Sid so winzig wie der tote Mann an Kalis Ohr. Lammfromm folgte der Mancor ihm am langen Zügel. Seine Vordertatzen machten keinen Laut auf dem Boden, nur die Hinterhufe klapperten über den steinigen Grund und hinterließen eine Spur aus aufgewühltem Boden, als würde der Mancor zwei Ackerfurchen ziehen.
    »Siehst du?«, sagte der Dämon und strahlte über das ganze Gesicht. »Mit Geschöpfen der Finsternis kenne ich mich aus. Wollen wir eine Runde drehen?«
    Tobbs leckte sich nervös über die Lippen und sah sich um. Die Sonne ließ die Berge leuchten. Irgendetwas flatterte in seinem Bauch und bettelte darum, dass er einfach Ja sagte und auf den Wagen sprang.
    »Ich weiß nicht«, murmelte er. »Wenn Kali das erfährt, zieht sie uns als Schmuck durch ihre Nase.«
    Sid lachte und kraulte den Mancor über dem Knie – schon dazu musste er sich auf die Zehenspitzen stellen. Das Untier schloss die Augen und begann so laut zu schnurren, dass Tobbs die Vibrationen wie ein Kitzeln in seiner Magengrube fühlen konnte.
    »Sie erfährt es nicht«, beteuerte Sid. »Der Mancor wird wohl kaum petzen – und ich bin schließlich ein Dämon! Schon mal von einem Dämon gehört, der nicht mit einem Ungeheuer fertig wird? Die Maultiere meines Vaters sind viel gefährlicher – sie speien Feuer und hinterlassen mit ihren glühenden Hufen Lavaspuren im härtesten Gestein. Ach komm schon, Tobbi Tobbs, nur eine klitzeklitzekleine Runde ums Haus!«
    Tobbs überlegte. Sollte er feiger sein als ein Dämonenkind? Nachdenklich warf er einen Blick auf seinen Unterarm, auf dem die Bissmale der Dämonenbraut inzwischen mit getrocknetem Blut verschlossen waren. Nun, gefährlicher als eine Dämonenhochzeit konnte eine Runde in einem Streitwagen auch nicht werden. Und schließlich, flüsterte ihm eine leise Stimme zu, war er jetzt dreizehn Jahre alt. War es da nicht Zeit, Dopoulos’ Schürzenzipfel loszulassen und auch mal etwas auf eigene Faust zu unternehmen?
    Der Mancor wandte den Kopf und verfolgte, wie Sid und Tobbs auf den Streitwagen kletterten. Tobbs versuchte in diesen ozeanblauen Raubtieraugen zu lesen, aber das Tier wirkte nach wie vor friedlich und geduldig. Der Streitwagen federte bei jeder Bewegung sanft unter ihren Füßen auf und ab. Sid hatte bereits die Zügel in die Hand genommen und wartete darauf, dass Tobbs seinen Platz fand.
    »Halt dich hier vorne an der
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