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Die verbotene Pforte

Die verbotene Pforte

Titel: Die verbotene Pforte
Autoren: Nina Blazon
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Löwenmähne – aber Tobbs konnte das Gesicht des Untiers nicht sehen, da es von ihm abgewandt stand und sich die linke Pfote leckte. Nur der Gestank des Raubtierrachens wehte zu ihm herüber. Der hintere Teil des Mancors erinnerte an ein sandfarbenes Pferd – die Hufe allerdings waren gespalten und so groß und scharf wie Sicheln. Ein Löwenschweif peitschte hin und her.
    Tobbs schlich näher heran. In diesem Augenblick setzte der Mancor seine linke Pfote wieder geschmeidig auf den Boden auf und schüttelte die Mähne. Tobbs zog sich hastig zurück und huschte zur Vorderseite des Gebäudes. Sein Herz pochte. Er hatte einen leibhaftigen Mancor gesehen! Leider nicht sein Gesicht – aber von der anderen Seite würde er sicher einen besseren Blick auf Kalis Kutsche haben. So schnell er konnte, rannte er an der offenen Tür vorbei und fegte um die Ecke.
    Dort stand Sid.
    »Was machst du denn hier!«, zischte Tobbs. Der Dämon sah sich um, doch sonderlich erschrocken war er nicht. Er legte nur den Zeigefinger an die Lippen und winkte Tobbs heran. Tobbs war viel zu verdutzt, um der Aufforderung nicht zu folgen. Zögernd trat er neben Sid. Die Luft blieb ihm weg, als er den Mancor in voller Pracht sah.
    Das Raubtiergesicht war so schön, dass jeder Tiger neben ihm wie eine räudige, hohlwangige Straßenkatze gewirkt hätte. Die orangefarbene Mähne leuchtete wie ein Kranz aus Feuerzungen. Die Augen waren wasserblau und die Zunge, die nun gelangweilt über die Lefzen leckte, ebenfalls – blauer als alle Lagunen im Land der Tajumeeren.
    »Ist der nicht – Wahnsinn?«, flüsterte Sid. »So einen will ich später auch!«
    Tobbs konnte sich kaum von dem Anblick losreißen, aber dann besann er sich endlich wieder auf seine Aufgabe und packte Sid am Genick.
    »Mitkommen!«, befahl er. Der junge Dämon zog den Kopf ein und ließ sich gehorsam ein Stück mitziehen. Doch kurz vor der Tür stemmte er sich gegen Tobbs’ Griff.
    »He, warte doch mal! Nur einen Augenblick! Ich muss dir was sagen …«
    »Das kannst du auch drinnen«, knurrte Tobbs. »Wie bist du überhaupt hierhergekommen?«
    Sids ertappter Gesichtsausdruck sprach Bände.
    »Du hast doch nicht etwa die Schlüssel gestohlen?«, fragte Tobbs fassungslos.
    Sid grinste entschuldigend. »Ich gebe sie ihm wieder zurück! Ehrenwort!«
    »Du kommst als Gast in unsere Taverne und stiehlst Dopoulos die Schlüssel! Gib sie auf der Stelle wieder her!«
    Das Dämonenkind seufzte und streckte die Hand aus. Auf seiner Handfläche lag nur ein einziger Schlüssel. Darin eingeritzt war Kalis Zeichen – ein Galgenmännchen, das den toten Mann darstellte. Wie hatte der Knirps es bloß geschafft, den Schlüssel von Dopoulos’ Bund zu entfernen?
    »Ich hab ihn mir nur geliehen – weil ich den Mancor sehen wollte. Hast du noch nie Schlüssel geklaut?«
    »Ganz bestimmt nicht!«
    »Wirklich? Aber warum denn nicht? Damit kannst du einfach so jedes Land betreten! Ohne wochenlange Reisen und gefährliche Überfahrten! Aber für dich ist das wahrscheinlich gar nichts Besonderes mehr. Du darfst ja ohnehin jeden Tag durch die Türen ein und aus spazieren, stimmt’s? Warst du schon mal bei den Tajumeeren?«
    Tobbs schüttelte den Kopf. »Es ist nicht ungefährlich, einfach so zwischen den Ländern herumzuspringen. Du siehst ja, dass die Zeit in manchen von ihnen ganz anders läuft. Hier scheint die Sonne – bei uns ist es Nacht. In der Taverne steht die Zeit beinahe still, während wir in Kalis Welt sind – und sind wir in der Taverne, fliegt hier die Zeit vorbei. In manchen Ländern ist ein Tag ein Jahr oder nur eine Stunde. Ehe man sichs versieht, hat man in der Taverne eine Woche oder einen Monat verloren.«
    »Wieso verloren? Was verpasst du denn schon in der Taverne?«
    Tobbs schwieg. Wie sollte er diesem kleinen Dieb erklären, warum es für ihn wichtig war, in der Taverne zu bleiben? Solange er dort war, wussten seine … Eltern? … wo sie ihn fanden. Jeden Morgen, wenn er aufwachte und Nekis flaumweiches Katzenfell seine Nase kitzelte, wünschte er sich, dass sie heute durch eine der Türen kommen würden, überglücklich, ihn wiedergefunden zu haben. Jeden Tag stellte er sich eine andere Tür vor – und ein anderes Land, aus dem er stammte. Jeden Tag nahm er dafür eine andere Holzfigur aus seiner Sammlung in die Hand, betrachtete sie und malte sich aus, wie seine richtigen Eltern sich freuen würden, wenn er ihnen die beiden Figuren schenkte, die ihnen glichen. Nur
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